dankbarkeit

Über die Dankbarkeit, aufgeschrieben von Elke Loepthien.

“Wir sind nur dann wirklich lebendig, wenn unser Herz sich unserer Schätze bewusst ist.” 
Thornton Wilder

Wie Klettverschluss und Teflon

In unserer Wahrnehmung der Welt ist eine interessante Dynamik festzustellen, die vom Psychologen Rick Hanson beschrieben wurde:
“Das menschliche Gehirn sucht, registriert, verwahrt, erinnert und reagiert vor allem auf unerfreuliche Erfahrungen. Es verhält sich wie ein Klettverschluss-Streifen für negative und wie Teflon für positive Erlebnisse.”
Aus diesem Grund haben wir eine natürliche Neigung dazu, ein in der Tiefe pessimistisches und düsteres Lebensgefühl zu entwickeln – sogar wenn wir viel mehr positive als negative Erlebnisse haben.
Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, diese Düsterkeit auch in unsere Zukunft zu projizieren, vielleicht ein Grund für die immer wiederkehrenden Prophezeiungen für den Weltuntergang.

Der 5/1-Faktor 

Der Paarpsychologe John Gottman stellte fest, dass in gelingenden Beziehungen ein Verhältnis von 20/1 besteht zwischen Positivem und Negativem: Nur einmal Kritik auf 20 mal Wertschätzung, einmal Ärger auf 20 mal Freude, eine Klage auf 20 Komplimente. Dasselbe gilt auch für Teams und Organisationen.
Es braucht also viel mehr Gutes als Negatives, damit wir glücklich sein können und dieses Gute will auch wahrgenommen werden.
Wie kannst du dem Guten in deinem persönlichen Leben, in Familie und Gemeinschaft mehr Raum geben? Durch Danken!

Dankbarkeit als Schlüssel

Aber kann Danken wirklich Glücklichkeit hervorbringen?
Das kann es! Vor einigen Jahren veröffentlichten die Wissenschaftler McCullough und Emmons ein ganzes Buch darüber.
Sie fanden heraus, dass Dankbarkeit als Schlüsselelement in vielen Kulturen der Welt angesehen wurde und bewiesen in einer Studie, dass tägliches Üben von Danksagungen die Zufriedenheit und Glücklichkeit im Leben eines Menschen erheblich steigern. Inzwischen haben unzählige Wissenschaftler*innen die unmittelbaren und langfristigen positiven Auswirkungen von Dankbarkeit belegt und bewiesen.

Dankbarkeit als Baustein für Kultur

Regelmäßiges Danken verändert deine gesamte Wahrnehmung zugunsten der kleinen und großen Geschenke im Leben.
Die menschliche Grundtendenz, mehr auf negative Erfahrungen zu achten, mag wichtig für unser physisches Überleben sein.
Das kulturelle Element des Dankens scheint dagegen eine wichtige Rolle für unser geistiges und spirituellesÜberleben zu spielen. Ganz sicher ist es wichtig für unsere Fähigkeit, ein gutes und befriedigendes Leben für uns selbst und unsere Lieben zu schaffen.

Weitergeben und wachsen lassen

Zuhause erzählen mein 6jähriger Sohn und ich einander abends beim Ins-Bett-Bringen, wofür wir heute dankbar sind. Kinder finden es toll, ihre Dankbarkeit für Sonnenschein, Tierbegegnungen, Feuerwehrautos oder helfende Nachbarn auszusprechen und auf diese Weise die Geschichte ihres Tages zu ernten. Es hilft ihnen auch dabei, die Wertschätzung und Liebe für Natur und Menschen in sich wachsen zu lassen.

“Die Worte die vor allen anderen kommen” 

Bei den Haudenosaunee, der Konföderation der Irokesen-Stämme in Nordamerika, gibt es den Brauch, Versammlungen mit einer Danksagung zu eröffnen, den “Worten die vor allen wichtigen Angelegenheiten gesprochen werden”. Sie dient dazu, Wertschätzung, Liebe und Dank für alle Wesen der Natur auszudrücken und dabei unseres eigenen Platzes innerhalb der natürlichen Welt bewusst zu werden.

Das gemeinsame Danken für die gesamte Schöpfung hilft, die Herzen und den Verstand der Menschen zu öffnen und zu fokussieren, um gut miteinander zu kommunizieren, zu lernen oder Entscheidungen zu treffen. Es erinnert uns auch daran, welchen Platz wir als Menschen innerhalb der Schöpfung einnehmen und wie stark verbunden wir mit allen natürlichen Wesen und allen anderen Menschen sind.
Diese “Thanksgiving Address”, wie sie in englischer Sprache manchmal genannt wird, ist eine kultur-typische Form des Dankens, die wir nicht kopieren und uns aneignen dürfen. Wir können aber respektvoll lauschen und lernen.

Damit wir uns von der überlieferten Weltsicht und Weisheit indigener Kulturen inspirieren lassen, für unser Leben und für unsere Kultur an dem Ort wo wir leben, unsere eigenen Wege und Weisen zu finden, gemeinsam zu danken und umso respektvoller auch mit unserer Mitwelt umzugehen.

Hier findest du einen Film mit Whatweni⋅neh – Frieda Jacques vom Turtle Clan Kateri der Onondaga Nation, mit Riley Thornton, Snipe Clan. Der Film entstand in der Onondaga Nation School und erklärt Sinn und Zweck der Danksagung, und wie diese von Situation zu Situation variiert werden kann.

Weiter unten kannst du Tom Porter sehen, ehemaliger Chief der Mohawk, wie er ausführlich die traditionelle Danksagung und ihre Bedeutung erklärt.

Ich wünsche dir ein neues Jahr voller kleiner und großer Dankbarkeiten!
Elke

 

 

Interessierst du dich für Vielfalt bejahende, naturverbundene Spiritualität? 

Dann könnte unsere Ausbildung in naturverbundener Ritualarbeit dir vielleicht gefallen. Alle Infos dazu findest du hier…

“Inmitten der gerade jetzt oft überwältigenden Komplexität der gesellschaftlichen Vorgänge und angesichts der bedrohlichen Herausforderungen vor denen wir stehen, kann eine naturverbundene, undogmatische und lebensbejahende Spiritualität für uns wie ein Fels in der Brandung sein.

Sie kann es uns ermöglichen, seelische, gesellschaftliche und ökologische Not gesund zu überstehen, und schöpferisch dazu beizutragen, Freude, Frieden und Leichtigkeit inmitten vom Chaos selbst zu erleben und für andere zu schenken.”

weinen tränen

“Tränen reinigen das Herz.” Fjodor Michailowitsch Dostojewski

Könnt ihr eure Trauer und Tränen ungehindert fließen lassen wenn ihr traurig seid? Gibt es Menschen in eurem Leben die euch dabei bezeugen und unterstützen?


Wir brauchen einander um Trauer loszulassen

Im Frühling 2010 habe ich in einem Vortrag von zwei indigenen Ältesten aus Nordamerika und Afrika gehört, dass wir Menschen unsere Trauer erst dann vollständig loslassen können, wenn andere Menschen uns dabei bezeugen. Beide waren sich einig darin, dass es die Gegenwart anderer Menschen braucht.

Meine Geschichte
Für mich war das schwer zu akzeptieren. In den Jahren zwischen 13 und 18 habe ich nicht ein einziges Mal geweint. Ich musste es als Erwachsene neu erlernen, erst mal für mich allein. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich mich getraut habe, zumindest manchmal vor meinen engsten Freunden zu weinen. Sobald andere Menschen anwesend waren, konnte ich meine Traurigkeit einfach überhaupt nicht mehr spüren, nur Taubheit und Leere stattdessen. Befreiend trauern vor anderen Menschen war für mich völlig unvorstellbar.

Das Trauer-Ritual
Dann habe ich in Kalifornien Sobonfu Somé kennengelernt und von vielen Freunden dort gehört, wie kraftvoll das Trauer-Ritual sei. Wie sie es beim Ritual mit Sobonfu geschafft hatten, in Gemeinschaft mit anderen Menschen ihre tief verborgenen Gefühle von Trauer, Wut oder Angst zu spüren, auszudrücken und loszulassen. Deshalb lud ich sie im vergangenen November nach Deutschland ein.  Für mich persönlich hat sich in den drei Ritual-Tagen im Lebensgarten Steyerberg etwas verwandelt. Es war als ob angestaute Trauer von Jahrzehnten wieder fließen konnte. Danach fühlte ich mich voller Leichtigkeit, Heiterkeit und tief befreit. In den Monaten seitdem kann ich deutlicher spüren, wenn meine Trauer raus will, kann mir Zeugen suchen und meine Tränen frei fließen lassen. Das Ritual hat nachhaltig gewirkt.

Trauer ist allgegenwärtig
Wir erleiden in unserem Leben jeden Tag Schmerzhaftes: alltägliche Konflikte, Krankheiten, gescheiterte Träume, zerbrochene Beziehungen, geliebte Menschen die leiden oder sterben, das Fehlen von essentiellen kulturellen Elementen in unserem modernen Dasein, der Mangel an zeitloser, verbundener Zeit in der Natur und mit den Menschen die wir lieben, die fortschreitende Zerstörung unserer Erde oder einfach die Sorgen und Nöte unserer Mitmenschen, Schüler, Kurs-Teilnehmer*innen oder Klient*innen, die uns berühren.

Wenn wir unsere Trauer unterdrücken, stumpft unser gesamtes Gefühlsleben ab
Als Menschen sind wir dazu fähig, negative Gefühle auszublenden. In Notsituationen kann dies unser Leben retten. Unterdrücken wir Emotionen wie Trauer oder Wut jedoch über einen längeren Zeitraum stumpft unsere gesamte Empfindungsfähigkeit dadurch ab und wir laufen Gefahr, körperlich zu erkranken, depressiv zu werden oder anderen und uns selbst Verletzungen zuzufügen. Vor allem sind wir deutlich weniger in der Lage, positive Gefühle wie Liebe, Freude oder Dankbarkeit zu empfinden, sagt auch Christine Carter, Professorin der Universität in Berkeley, Kalifornien.

Das Geschenk der emotionalen Tränen
Emotionale Tränen enthalten laut dem Biochemiker und Tränen-Experten William Frey eine Vielzahl von Stoffen, die in der übrigen Augenflüssigkeit die wir bei externen Reizungen des Auges absondern, nicht enthalten sind. Beim Weinen werden über die Tränen Stress-Hormone ausgeschieden, genauso auch Toxine, die sich bei Stress im Körper anreichern. Andere Studien dokumentieren, dass das Weinen auch die Produktion von Endorphinen anregt, unserer körpereigenen Schmerz-Medizin und Glücks-Hormonen. Wir fühlen uns besser, wenn wir geweint haben, auch wenn das Problem weiterhin besteht.
Sobonfu’s Volk, die Dagara in Burkina Faso, wird nachgesagt, dass die Menschen besonders lebensfroh und heiter seien und Sobonfu selbst sieht einen Grund dafür darin, dass sie regelmäßig Trauer-Rituale miteinander durchführen.

Unsere Verantwortung annehmen
Jedes Mal wenn wir die Verantwortung für unsere Trauer übernehmen, kann es sich anfühlen, als würden wir wir einen Teufelskreis von Leiden, Unterdrückung und mehr Leiden durchbrechen. Trauern kann ein erster Schritt sein, für uns selbst Linderung seelischer Schmerzen zu finden, und damit auch für unsere Kinder und Partner*innen (die leider oft am meisten von unserer ungelösten oder unbewussten Trauer abbekommen) und für alle Menschen um uns herum zu liebevolleren Mitmenschen zu werden.
Die Ärztin, New York Times Bestseller-Autorin und Tränen-Forscherin Judith Orloff schreibt: “Ich liebe es, zu weinen. Ich weine wann immer ich kann. Ich wünschte, ich könnte noch mehr weinen. Gottseidank sind wir in der Lage dazu.
Und selbst wenn wir das nicht mehr sind, können wir es wieder lernen – am leichtesten gemeinsam.

 

Gemeinsam sicher trauern kannst du bei einem unserer Trauerfeuer, z.B. im Sommer oder im Dezember 2023.

Möchtest du mehr über das Trauern erfahren? Hier findest du unser e-Book fürs zuhause trauern.

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