Dekolonisation unterstützen

Dekolonisation ist die weltweite Bewegung gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung indigener Kulturen und für ihre kulturelle, psychologische und ökonomische Freiheit.

Es geht also um eine gerechtere Welt insbesondere für Menschen aus indigenen Kulturen.

Die Folgen der jahrhundertelange Kolonisation der indigenen Welt durch Weiße sind noch immer schrecklich, auch heute. Diese ohnehin extrem schwierige Situation indigener Völker kann sich weiter verschlimmern, wenn wir bewusst oder unbewusst kulturelle Aneignung betreiben.

In der Naturverbindungsarbeit, innerhalb der „spirituellen“ Szene und gesamtgesellschaftlich sind fünf Phänomene kultureller Aneignung weit verbreitet, die auch wir als Organisation und als private Personen bedauerlicherweise selbst praktiziert oder unkritisch weitergegeben haben, gerade in den Anfangsjahren vom Circlewise Institut.

Unsere eigenen Verhaltensweisen kultureller Aneignung Stück für Stück hinter uns zu lassen, wurde für uns ein nun schon mehrere Jahre währender Prozess des Anerkennens und Umdenkens, um neue Wege zu finden – eine oft schmerzliche, aber auch erleichternde und sogar verbindende Reise, die immer noch fortdauert.

Verbreitete Phänomene kultureller Aneignung

  1. Einzelne indigene Lehrer:innen geben Wissen und Methoden an weiße Lernende weiter, auf einer persönlichen Ebene oder im Rahmen von Veranstaltungen. Kulturelle Aneignung geschieht dann, wenn die Lernenden das empfangene Kultur-Wissen ohne die Einwilligung der offiziellen Vertreter:innen dieser Kulturen weitergeben, beispielsweise also selbst nicht nur privat sondern im Rahmen von Veranstaltungen lehren und vermarkten. Häufig verfremden sie es dabei auch. Oft gibt es weder Entschuldigungen, noch öffentliche Gespräche über mögliche Wiedergutmachungen.
  2. Weiße denken sich selbst Methoden und/oder Inhalte aus, schreiben diese jedoch Ureinwohner:innen in Nordamerika oder anderen Teilen der Welt zu, um mehr Autorität oder Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Damit propagieren sie ein verzerrtes, unzutreffendes Bild der jeweiligen Kultur.
  3. Einzelne, oft von ihren Gemeinschaften kritisierte oder sogar isolierte Vertreter:innen indigener Kulturen geben ohne Einverständnis ihres Volkes (oder sogar im Widerstand zu gemeinschaftlichen Tabus) kulturelles Wissen weiter. Dadurch verschaffen sie sich persönliche Vorteile. Manchmal ermutigen sie die weißen Empfänger:innen sogar, sich als rechtmäßige „Hüter:innen“ eines oft extrem lückenhaften, entwurzelten oder sogar verfälschten kulturellen Wissens zu betrachten. Das gemeinsame Erbe der tatsächlichen Kultur, zu der es gehört, wird dadurch erodiert.
  4. Weiße Menschen sammeln ohne tieferen Kontakt zu indigenen Communities in Büchern, Vorträgen oder durch Beobachtung indigene Wissens-Häppchen und Methoden auf, verformen oder verzerren diese und vermarkten sie dann als „indigen“.
  5. Weiße Menschen beschreiben auf Basis ihrer Fantasie oder bruchstückhafter Kontakte, das Leben und die Erfahrungen indigener Menschen. Sie veröffentlichen Vorträge, Kurse, Bücher (Sachbücher oder auch Romane und Geschichten), als würden sie die indigene Lebenswelt von innen heraus kennen. (Manchmal kreieren sie dafür sogar eine falsche Identität, als wären sie selbst indigen oder hätten unmittelbare indigene Vorfahren).
    Hierdurch stellen sie die Kultur nicht nur verfälscht dar, sondern wieder einmal profitieren die weißen Personen: Sie verdienen sich Anerkennung und Einkünfte mit etwas, das ihnen nicht zusteht.

Kulturelle Aneignung verletzt Menschenrechte

Alle fünf Phänomene spiegeln eine Anspruchshaltung, eine Mentalität des „ich kann mir einfach nehmen, was auch immer ich will“ – welche in der Geschichte der Menschheit ein Netz aus Gräueltaten über den gesamten Planeten geworfen hat.

Die 2007 verabschiedete UN-Menschenrechtserklärung über die Rechte indigener Völker schreibt dazu in unmissverständlichen Worten: Vom „kulturellen, intellektuellen, religiösen und spirituellen Eigentum indigener Völker“ dürfe nichts ohne deren Zustimmung oder entgegen ihrer eigenen Gesetze, Traditionen und Bräuche verwendet werden.

Dabei ist die Zustimmung des gesamten Volkes, nicht nur einzelner Personen gemeint.

Kulturelle Aneignung ist eine Fortführung des Kolonialismus

Wir als Circlewise Institut und als Menschen, die wir persönlich dahinter stehen, erkennen an, dass indigene Völker nicht nur viele Jahrhunderte lang durch Ausbeutung, Völkermord und kulturellen Genozid bedroht wurden, sondern ihre Unterdrückung bis heute andauert.

Es ist uns bewusst, dass Reichtum und Privilegien der vorwiegend weißen Bevölkerung auch hier in Europa (von der wir selbst in unserem Leben und Wirken tagtäglich profitieren), zu großen Teilen durch Raub ermöglicht wurden. Unser privilegiertes Leben, einschließlich aller Rechte und Freiheiten, die damit verbunden sind, beruht auf der Ausbeutung und teilweise vollständigen Zerstörung von indigenen Kulturen, sowie immer wieder systematischen, massenhaften Ermordung indigener Menschen in allen Teilen der Erde.

Wann immer wir als Weiße kulturelle Elemente stehlen, führen wir das Grauen des Kolonialismus fort. Denn wir eignen uns erneut Kultur-Schätze an, die uns nicht zustehen.

Dabei ist die Kultur oft fast das einzige was indigenen Kulturen noch geblieben ist. Viele Völker haben kaum noch Zugang zu ihrem angestammten Land und ihren traditionellen Lebensweisen. Oftmals wird das Überleben der Kultur zusätzlich bedroht durch das Aussterben ihrer eigenen, identitätsgebenden Sprache.

Es ist nicht selten, dass lediglich Reste eines einstmals gewaltigen kulturellen Erbes über viele Jahrzehnte nur im Verborgenen behütet werden konnten. Viele kulturelle Elemente können sich nur langsam wieder verbreiten und an die jüngeren Generationen weitergegeben werden.

Indigene Völker weltweit werden auch heute noch massiv bedroht und unterdrückt

Denn zahlreiche Völker, gerade in den USA und Kanada, aber auch in anderen Teilen der Welt, durften bis vor nicht allzu langer Zeit keine ihrer Bräuche durchführen, ihre traditionelle Kleidung tragen und oder ihre eigene Sprache sprechen.

Indigene Kinder wurden und werden systematisch von den Familien getrennt und in Internaten mit Gewalt dazu gezüchtigt, ihre eigene Kultur und kulturelle Identität hinter sich zu lassen. Auch heute noch werden Kinder teilweise schon als Babys ihren First Nations Eltern weggenommen.

Noch immer wird indigenen Gemeinschaften das wenige Land, was sie noch nutzen dürfen, einfach weggenommen, Gewässer werden verschmutzt und für die Menschen und deren Geschichte heilige Orte zerstört.

Die indigenen Kulturen innerhalb von Turtle Island (bei uns bekannt als USA und Kanada) sind aufgrund der Folgen dieser Unterdrückung akut bedroht von vielem, was die moderne Welt an Leid und Elend zu bieten hat:

Sie stehen in Statistiken immer wieder ganz oben wenn es um die fatalen Auswirkungen von beispielsweise Alkoholismus und schwerwiegenden Drogenkonsum geht, Gewalt gegen Frauen, Entführungen, Selbstmord (sogar schon bei Kindern und Jugendlichen), Arbeitslosigkeit und finanzielle Armut, Menschenhandel und allgemein die Lebenserwartung.

Es ist eine große, schwierige Bemühung, angesichts unvorstellbaren Leidens und der daraus folgenden schwerwiegenden historischer Traumata, die eigene Kultur zu erhalten und wieder zu beleben, es zu schaffen, sie auch an die jüngeren Generationen weiterzugeben.

Verständlich ist, dass dies umso schwieriger wird, wenn weiße Personen sich  ungehemmt an kulturellen Elemente bedienen, zugunsten ihres eigenen Wohlbefindens, persönlichen Wachstums oder aus Sehnsucht nach Gemeinschaft und Verbindung zu kulturellen Wurzeln.

Wenn dies passiert, können die vielschichtigen mit den kulturellen Elementen verbundenen Ebenen ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren. Statt kulturelle Identität zu bestärken, nutzen Lieder, Rituale, heilige Objekte und andere Elemente sich ab, werden im schlimmsten Fall bedeutungslos.

Unsere Arbeit wurde maßgeblich beeinflusst von indigenen Kulturen

Wir als Circlewise Institut haben den wenigen Kontakten, die wir mit indigenen Kulturen haben konnten, fast alles zu verdanken, was im Herzen unserer Arbeit steht.

Denn die Sicht auf die Welt, auf das Leben, auf die Menschen, die wir in Geschichten, Bräuchen und Begegnungen erleben oder erahnen konnten, haben unseren Blick darauf, was überhaupt menschen-möglich ist, grundlegend verändert.

Auch unsere Beschäftigung mit mitteleuropäischen sowie kulturübergreifenden oder bereits in der Frühgeschichte vorhandenen menschlichen Handlungsweisen wurde und wird im Grunde inspiriert und ermöglicht durch das, was wir direkt oder indirekt von Menschen aus indigenen Kulturen heute lernen konnten.

Denn es waren die Stimmen indigener Menschen, die unsere Aufmerksamkeit überhaupt erst darauf brachten, nach persönlichen und allgemeinen kulturellen Wurzeln zu suchen.

Dasselbe gilt für den ganz bestimmten Blickwinkel, mit dem wir wissenschaftliche Forschungen und Studien betrachten und diese zum Entwickeln oder Verfeinern von unseren Inhalten und Methoden nutzen.

Somit haben wir fast alles, was unsere Arbeit heute ausmacht, auf irgendeine Weise den kulturellen Schätzen zu verdanken, die indigene Kulturen in anderen Teilen der Welt, trotz teilweise unvorstellbarer Hürden, geschafft haben zu bewahren.

Eine Frage von Rechtschaffenheit

Gerade auch deshalb, und einfach im Sinne einer gerechteren Welt, stehen wir dafür ein, dass es eine der wichtigsten und dringlichsten Aufgaben unserer Zeit ist, aktiv Wiedergutmachung gegenüber indigenen Kulturen (sowie gegenüber anderen historisch unterdrückten und diskriminierten Gruppen) zu praktizieren.

Wir verstehen es als notwendige Aufgabe und als einfach eine Frage von Rechtschaffenheit, uns für die Dekolonisations-Bewegung indigener Kulturen einzusetzen und solidarisch zu verhalten.

Dabei sehen wir uns immer noch ganz am Anfang einer Entwicklung, die wir ganzherzig weiterführen und ausbauen wollen.

Dies sind unsere ersten Schritte, um Dekolonisation zu unterstützen:

  • Wir verbreiten keine kulturellen Elemente spezifischer indigener Kulturen (beispielsweise Lieder, Geschichten, Bräuche, Gegenstände, Pflanzen, Lehren, Begriffe, Übungen etc.).
  • Wir behandeln in allen unseren Weiterbildungen explizit die Themen historischer und aktueller Kolonisation und kultureller Aneignung und vermitteln hierzu Hintergrundwissen. Außerdem teilen wir von Vertreter:innen indigener Kulturen formulierte Handlungsempfehlungen.
  • Wir nutzen auch allgemein verbreitete, von unserem Kontakt mit indigenen Kulturen inspirierte Herangehensweisen, nicht so wie diese innerhalb dieser Kulturen praktiziert werden.
    Vielmehr begeben wir uns auf Spurensuche danach, ob ähnliche Bräuche, Rituale oder anderen kulturellen Elemente aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Mitteleuropa und/oder bereits in prähistorischen Zeiten praktiziert wurden, also zu einem gemeinsamen menschlichen Erbe zugehörig sind.  Ist dies nicht so, sondern scheint es sich um ein wirklich kulturspezifisches Element zu handeln, dass mit uns hier und heute überhaupt nichts zu tun hat, verzichten wir darauf.
    Können wir Hinweise finden, kopieren wir nicht die Vergangenheit, sondern entwickeln eigene, für uns hier und heute authentische Formen für zeitgemäße, ein friedvolles Miteinander fördernde kulturelle Elemente und Methoden. (Beispiele hierfür sind zahlreich: Redekreise, gemeinsames Danken, die Nutzung von Trommeln und Rasseln, Übungen für das Schärfen der Sinneswahrnehmung, Rituale mit Feuer uvm..)
  • Wir geben von den Einnahmen unserer Arbeit auch finanzielle Mittel weiter, um heute existierende indigene Communities zu unterstützen (beispielsweise in den letzten zwei Jahren die Tracking School Namibia, die sich in einem Land befindet, in dem Deutsche im vergangenen Jahrhundert aus rein wirtschaftlichen Interessen heraus die indigene Bevölkerung durch Genozid grausam ermordeten). Nach Möglichkeit geben wir BiPoC-Personen kostenlosen oder ermäßigten Zugang zu unseren Online-Kursen und Präsenz-Angeboten.
  • Wir geben authentischen Vertreter:innen indigener Kulturen, die nicht nur Lehren weitergeben, sondern auch tatsächlich in ihre lokalen Communities eingebunden sind, eine Bühne in unseren Veranstaltungen und Veröffentlichungen, beispielsweise auch indem wir ihre Veröffentlichungen ausdrücklich weiterempfehlen oder sie für öffentliche Veranstaltungen einladen.
  • Wir stehen hinter dem Anliegen indigener Kulturen, alle Rechte über das ihnen angestammte Land zu bekommen, das ihnen gestohlen und gewaltsam oder betrügerisch entrissen wurde, wie es die Land Back Bewegung fordert. (Übrigens: Auch und gerade beim Thema Landnutzung wird sichtbar, wie viel wir wirklich von indigenen Kulturen lernen können. Denn indigene Kulturen, die ihr Land hüten dürfen, bewahren auch aktuell immer noch ganze 80% der Biodiversität auf unserem Planeten, obwohl sie nur 5% der Bevölkerung ausmachen. Inzwischen zeigt sich zudem an einigen Orten in den USA, dass sie dank traditioneller ökologischer Kenntnisse auch zurückgegebenes Land auf eine Weise bewirtschaften, die es gesünder und resilienter machen kann.)
  • Wir bezeugen mit großer Achtung Menschen aus indigenen Kulturen, die trotz gewaltvoller Unterdrückung, immer wieder ihre Stimme laut und deutlich für den Schutz der Erde, des Wassers und der natürlichen Welt erheben und wir wollen tun was wir können, um unseren Beitrag dafür zu leisten, dass die Erde als lebendiger Planet und alle Wesen, die auf ihr zuhause sind, weiter existieren können.
  • Wir sind bereit, schwierige Emotionen wie Scham und Schuldgefühle zu ertragen und aufzuarbeiten, uns selbst mit den Phänomenen rund um White Fragility auseinanderzusetzen, und uns weiterhin der Aufarbeitung der Geschichte zu widmen. Denn es ist bei uns angekommen, dass das Unrecht eben nicht nur im Außen existiert, sondern über unsere Sozialisation innerhalb unserer Kultur auch in uns selbst und in unseren sozialen Räumen und Strukturen wirkt.

Wir sind uns bewusst, dass was immer wir tun, nur ein winzig kleiner Beitrag sein kann angesichts einer schier erdrückenden Last von Ungerechtigkeit.

Dennoch wollen wir weiterhin Wege finden, und zwar wirkungsvolle Wege und Strategien, um die Dekolonisations-Bemühungen indigener Kulturen aktiv zu unterstützen.

Denn Neutralität ist nicht möglich

„Wenn du angesichts eines Unrechts neutral bleibst,
stellst du dich damit auf die Seite der Unterdrücker.

Desmond Tutu

Uns als Weiße überhaupt tatsächlich unterstützend verhalten zu können erfordert, nicht nur auf kulturelle Aneignung zu verzichten, sondern auch alle sonstigen Meinungen, Vorstellungen und Interaktionen zu hinterfragen, unseren eigenen unbewusst verinnerlichten Rassismus und insbesondere auch die Romantisierung indigener Völker und Weltsichten.

Wir sind hier zutiefst dankbar für die Unterstützung von Menschen aus indigenen Kulturen, die uns aufzeigen, was und warum bestimmte Handlungen problematisch sind.

Auch danken wir für die Arbeit investigativer Journalist:innen oder Menschen die in ihrer Freizeit recherchieren, um problematische Lehren und Praktiken ausfindig zu machen und vor der Welt sichtbar zu machen.

Dank ihnen können wir gemeinsam den unangenehmen aber essentiell notwendigen Prozess fortsetzen, unser eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen, damit wir nicht aus Unwissenheit oder Ignoranz genau das selbst weiter fortführen, was wir so gern in der Welt heilen sehen wollen.

Fühlst du dich erschüttert, entsetzt, traurig, hilflos oder wütend über all das Unrecht, was in diesem Text beschrieben ist? Wisse, du bist nicht allein.

Es ist wichtig, Themen wie diesen nicht aus dem Weg zu gehen – denn nur wenn wir sie angehen kann sich auch etwas verändern. Neben dem Austausch mit anderen Menschen, kann auch Selbst-Mitgefühl dabei helfen, die Auseinandersetzung damit etwas zu erleichtern.

Denn wenn wir es schaffen so gut für unsere innere, emotionale Verfassung zu sorgen, dass wir nicht so viel wegschauen brauchen, könnte es auch auch leichter für uns werden, etwas zu verändern und beizutragen.

Weiterführende Informationen

Hier findest du eine Liste von Beispielen und Hintergrundinformationen rund um das Thema kulturelle Aneignung.

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