Menschen brauchen Mentoring – Was die Wissenschaft darüber weiß

mentoring

…aufgeschrieben von Elke Loepthien-Gerwert

Ich war gerade erst Teenager geworden, hatte einen ermüdenden Tag hinter mir und wollte mich nur kurz verabschieden. Mein Gegenüber: Eine erwachsene Person, der ich natürlich kein bisschen mehr vertraute, als allen anderen Menschen, insbesondere älteren Menschen in meinem Leben damals.

Dann kamen die Fragen: Wie es mir eigentlich so geht, was in meiner Familie so los ist? Immer neue, interessierte und interessante Nachfragen auf meine ausweichenden Antworten und dabei so ein mitfühlender und bestärkender Blick… auf einmal konnte ich mich selbst mehr spüren und mich auch tatsächlich öffnen und jemandem ein klein wenig anvertrauen, wie es mir eigentlich ging, was mich bewegte und warum.

Aus dem Verabschieden wurde ein Gespräch und das Gespräch wurde ein paar Minuten lang.

Ich war es so gewohnt, im Stillen vor mich hin zu leiden und niemanden etwas davon merken zu lassen, dass ich eine ganze Weile brauchte, bis ich mit dieser Art von Kontakt und Zuwendung vertrauter wurde.

Doch auch wenn es noch vieler weiterer dieser Gespräche bedurfte, bis ich irgendwann bereit war, zusammen sitzend zu plaudern, statt zum Absprung bereit, veränderten sie mein Leben damals ganz merklich.

Die erwachsene Person war Pfarrer der Kirchengemeinde, in der ich konfirmiert wurde, Mit seinem authentischen Interesse an den Jugendlichen dort hat er sicherlich nicht nur mein Leben damals ein kleines Stück weit gerettet. Erst viele Jahre später bekam ich einen Begriff für das, was ich damals geschenkt bekam: Es war Mentoring! :-)

 

Mentoring kann ein Leben verändern

Mentoring hat viele Definitionen. Eine, die mir gefällt: Wann immer echtes persönliches Interesse verbunden mit einem Wunsch und einer Bereitschaft, unterstützend für jemand da zu sein, kombiniert wird mit tatsächlichem Begnungsraum und Austausch, oft – aber nicht immer – über einen längeren Zeitraum.

Für Menschen jeden Alters, vor allem aber für junge Menschen, kann diese Art von aktivem und fürsorglichen, fördern wollendem Interesse das sein, was man einen Game Changer nennt: Es kann ein Leben deutlich zum Positiven verändern und – wohlmöglich öfter, als wir uns bewusst sind – vielleicht sogar retten.

Seit meiner Jugend habe ich das immer wieder selbst erlebt:
Es war die Liebe und fürsorgliche Aufmerksamkeit anderer, oftmals älterer Menschen, wie Julie Langhorne oder Sobonfu Somé, die mir ermöglicht haben, gerade auch die schwierigsten Zeiten meines Lebens zu überstehen, oder sogar gestärkt daraus hervor zu gehen.

Diese Resilienz, die Fähigkeit uns auch unter schwierigsten Umständen weiter zu entwickeln, wird im westlichen Kulturkreis häufig als ein individuelles Phänomen dargestellt. Dabei hängt sie maßgeblich davon ab, was für ein Netz an Unterstützung um uns herum existiert, das uns auffangen kann, wenn wir fallen, und in dem wir sogar wieder neuen Schwung finden.

So wie es auch Desmond Tutu sagte: „Wir sind Teil von einem ganzen Bündel von Leben. Jede Person kann überhaupt nur deshalb sie selbst sein, weil es andere Personen in ihrem Leben gibt.“

Gemeinsam können wir all das sein, was das Leben von uns braucht.

 

Mentoring gab es vermutlich schon von Anfang an

Diese Art von unterstützenden Beziehungen war vermutlich schon seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte relevant. Gemeinsame Kinderbetreuung („cooperative breeding„) heißt der Fachbegriff, der ursprünglich aus der Biologie kommt und beschreibt, wie in der Frühgeschichte und auch heute noch in den sozialen Verbänden vieler Indigener Völker die sogenannte Kleinfamilie eingebettet ist in ein lebendiges Netz aus innigen zwischenmenschlichen Beziehungen, wo viele unterschiedliche Erwachsene sich gemeinsam um das Wohlergehen der Kleinsten kümmern.

Manche Forscher*innen gehen davon aus, dass Großeltern, die im Tierreich fast nicht zu finden sind, bei uns Menschen deshalb älter und älter werden können, eben weil sie von Anfang an so überaus wichtig für das Aufziehen der Kinder waren und auch heute noch sind. (Und, so lässt sich vermuten, wohl auch für das Gedeihen der Jugendlichen und die Unterstützung der Erwachsenen!) Tatsächlich konnte in einer Studie in den Niederlanden gezeigt werden, dass auch heute noch in Familien wo Großeltern sich mit um die Enkel kümmern, mehr Geschwisterkinder geboren werden, vielleicht als eine direkte Folge dieser Unterstützung.

Wie dringlich der Bedarf für Mentoring durch andere Personen als den leiblichen Eltern ist, zeigen auch aktuelle Studien zur Bindung. Im vergangen Jahr wurden in einer Studie 14.000 Kinder in den USA untersucht, von denen ganze 40% keine sichere Bindung, also kein tragfähiges Vertrauensverhältnis zu ihren biologischen Eltern hatten. Es ist nicht schwer vorzustellen, dass so oder ähnlich die Zahlen auch hier in Deutschland ausfallen könnten.

Mentoring-Wirkungen können erstaunlich sein


Wenn wir eine Mentoring-Beziehung mit jemand eingehen, dann kann dies wunderbare Auswirkungen haben:

  • Im American Journal of Community Psychology wurden 2018 die Ergebnisse von zwei Meta-Analysen diverser Studien rund um Mentoring zusammengefasst:
    Darin wurden mannigfaltige positive Auswirkungen dieser Beziehungen auf die Jugendlichen nachgewiesen, insbesondere in ihrer Fähigkeit, Verbundenheit zu anderen Menschen zu erleben.
    Das Erleben, von anderen Menschen unterstützt zu werden, war bei ihnen wesentlich stärker, insbesondere auch für ihre eigene Autonomie, für ein Empowerment darin, selbst entscheiden und handeln zu können.
    Vor allem die sozial-emotionale Entwicklung, die Resilienz angesichts schwieriger Umstände und das Fuß fassen in Beruf oder Studium liefen bei ihnen wesentlich besser, als bei Vergleichsgruppen, die keine Mentor*innen in ihrem Leben hatten.
    Diese positiven Auswirkungen waren selbst dann nicht weniger stark, wenn die Jugendlichen zu Risikogruppen gehörten, beispielsweise als Teenager schon zu Eltern wurden, obdachlos waren, oder alkoholkranke Eltern hatten.
    Durch Mentoring übten Jugendliche zahlreiche kognitive Fertigkeiten und waren aufgeschlossener für die Perspektiven von Erwachsenen.
    Mentor*innen vermochten es auch, gerade für Jugendliche mit schwierigen Beziehungen zu ihren Bezugspersonen, eine echte, schützende Ressource zu sein. Durch ihr Vorbild sein, ihre Zuwendung und die emotionale Unterstützung, die sie schenkten, konnten sie negative, verinnerlichte Selbstbilder der Jugendlichen zerstreuen und ihnen ebenso zeigen, dass positive Beziehungen mit Erwachsenen möglich waren.
  • In einem Programm für vulnerable Bevölkerungsgruppen in den Niederlanden zeigte sich, dass qualitativ hochwertiges Mentoring den Mentees half, Depressionen und Einsamkeit zu reduzieren und Selbstwert und Selbstvertrauen zu stärken.
  • Kindern, von denen ein Elternteil inhaftiert war (eine sehr schwerwiegende Belastung) half Mentoring dabei, weniger davon auszugehen, dass mit ihnen selbst etwas nicht stimme, und es verbesserte auch ihre positiven kognitiven Fertigkeiten, beispielsweise Ziele zu verfolgen, daran zu glauben, dass sie Erfolg haben können, wenn sie sich anstrengen und ebenso ihre allgemeine Lebenszufriedenheit.
  • Studierende aus First Nations in den USA sind an Universitäten oft unterrepräsentiert und (aufgrund von strukturellem Rassismus) fällt es ihnen schwerer, eine Karriere im wissenschaftlichen Bereich zu machen. In Studien zeigte sich, dass es für sie deutlich leichter ist, ihr Studium durchzuhalten und sich auch als Wissenschaftler*innen zu identifizieren, wenn sie Mentoring erfahren, vor allem wenn die Mentor*innen mit der Kultur ihrer Mentees vertraut waren.
  • Mentoring erleichtert es Jugendlichen, ganz konkrete Ideen darüber zu entwickeln, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen, wie es am Beispiel von jungen Leuten dokumentiert wurde, die allein, also ohne erwachsene Bezugspersonen aus anderen Ländern eingewandert waren (oft aufgrund von Notsituationen).
  • Sogar die Eltern von Kindern in Mentoring-Programmen berichten für sich selbst über leicht verringerte depressive Symptome, weniger soziale Ängste, weniger Aggressionen und Feindseligkeit, sowie auch Verbesserungen im familiären Miteinander (z.B. Kommunikation, Problemlösungen).

 

Mentoring ist gerade heute dringend notwendig

All diese wunderbaren Möglichkeiten scheinen notwendiger denn je – denn 2022 haben über 45% der Jugendlichen in Deutschland gesagt, dass sie manchmal oder immer das Gefühl haben, isoliert oder ausgeschlossen zu sein.

Weniger als ein Viertel der Jugendlichen gab an, dass es in ihrem Leben niemals oder selten irgendjemanden gäbe, mit denen sie über ihr Leben reden oder an den sie sich wenden könnten.

Nicht nur an sich ist das schon schlimm und könnte durch Mentoring sicher gelindert werden. Dazu kommt auch noch, dass rechtsextreme Kräfte sich seit längerem ganz gezielt an Kinder und Jugendliche wenden, beispielsweise auf TikTok, in Podcasts oder sogar auf Online-Gaming-Plattformen. Für Tiktok ist dabei deutlich, dass neben einer geschickten Verknüpfung von rechtsextremem Gedankengut mit Jugendsprache und Elementen der aktuellen Internetkultur, vor allem positiv besetzte Emotionen wie Stolz oder Zusammengehörigkeit eingesetzt werden.

Gerade wenn Jugendliche (und Menschen allen Alters) häufig auf eine leidvolle Weise Einsamkeit erleben, sind sie besonders verwundbar gegenüber extremistischen Kampagnen, wenn sie Zugehörigkeit zu einer überlegenen Gruppe versprechen und dabei ganz nebenbei eine anti-demokratische Haltung propagieren.

Denn Zugehörigkeit zu erleben ist ein menschliches Grundbedürfnis. Mentoring kann gerade jungen Menschen nachweislich dabei helfen, Verbundenheit zu anderen Menschen zu erleben, und das nicht nur zur Mentor*in, sondern ganz allgemein.
Wir sollten es nutzen, wann immer wir können, auch um Kindenr, Jugendlichen, Erwachsenen echte Angebote für echte Beziehungen zu machen, innerhalb derer sie Zugehörigkeit erfahren können, ohne dabei andere Bevölkerungsgruppen nach und nach zu entmenschlichen.

 

Mit Mentoring können wir zukünftigen Generationen helfen

Die gegenwertigen Generationen von Kindern und Jugendliche stehen durch Klimakatastrophe und Umweltzerstörung ohnehin vor schier unlösbaren Herausforderungen eines unvorstellbar gigantischen Ausmaßes.

Sie werden, egal wie die kommenden Jahre verlaufen werden, im Laufe ihres Lebens weitreichendes Artensterben, Zerstörung, Naturkatastrophen, Hungersnöte, Wasserknappheit, ökologische Kipppunkte und andere schlimme Notlagen mehr bezeugen und selbst durchleiden müssen.

Als Erwachsene können wir vielleicht nicht genug tun, um diese Situation zu verändern. Wir können aber – ganz egal was kommen wird – auf eine ihren Rücken stärkende Art und Weise da sein für die jungen Menschen, die unseren Rückhalt wirklich brauchen!

 

Und: Mentoring tut auch Mentor*innen richtig gut!

In einer Studie aus Aotearoa/Neuseeland wurden die positiven Auswirkungen auf die jungen Mentor*innen untersucht. Sie lernten, sich besser auf andere einzustimmen, wurden umgänglicher, zeigten mehr Führungsverantwortung, bessere Problemlösungsstrategien und konnten sich leichter in die Perspektiven anderer hineinversetzen.

In einer anderen Studie, über ein cross-kulturelles Mentoring-Programm wurde für die Mentor*innen die Verringerung von Vorurteilen, Entwickeln kultureller Demut, Zunahme sozialer Kompetenzen und ein Gefühl, für die eigene gesellschaftliche Verantwortung als positive Auswirkungen genannt.

Ich selbst erlebe beim Begleiten von Menschen immer wieder Momente von tiefer Ehrfurcht: Über die Erstaunlichkeit eines jeden menschlichen Wesens, über die unterschiedlichsten Arten und Weisen, in denen persönliche Entwicklung stattfindet, auch über die Weisheit, die sich in Mentoring-Gesprächen oftmals einstellt, einfach weil sie einen fruchtbaren Raum dafür hergeben.

 

Auch du kannst Mentor*in sein

Vielleicht bist du das sogar schon für jemanden, bewusst oder sogar auf unbemerkte Weisen. Mentoring ist nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern für Menschen allen Alters hilfreich, vor allem auch für junge Erwachsene.

Dabei kann nicht nur eine langjährige Beziehungen unterstützen, sondern manchmal sind es auch kurze Interaktionen, an der Bushaltestelle, in der Bahn, in der Mittagspause, auf einer Urlaubsreise, die für die andere Person einen echten Unterschied machen können, sogenannte Mentoring-Momente.

Das allerwichtigste dafür, dass dies gelingen kann, ist meines Erachtens ganz einfach deine Bereitschaft, für jemand anders bestärkend da zu sein.

Es gibt zahlreiche, auch kostenlose Online-Ressourcen, die Tipps und Hinweise zum Mentoring geben, beispielsweise hier eine englisch-sprachige Plattform, wo jede Menge aktuelle Forschungsberichte über Mentoring zusammengefasst und vorgestellt werden.

Für mich ist Mentoring eine der relevantesten lebensförderlichen Handlungen in der heutigen Zeit.

Oftmals verbringen wir als Erwachsene einen Großteil unserer Zeit räumlich getrennt von Kindern, Jugendlichen und auch jungen Erwachsenen.

Aber es gibt in Familie, in Nachbarschaft und Vereinen, in lokalen Initiativen uvm., gerade wenn wir danach Ausschau halten, auch heute noch jede Menge Gelegenheiten, die jüngeren Generationen zu unterstützen, ganz sicher auch in deinem Umfeld.

Ich persönlich glaube, es ist jetzt gerade vielleicht wichtiger denn je.

Denn meiner persönlichen Erfahrung nach kann Mentoring tatsächlich Leben retten, auf vielerlei Arten und Weisen!

 

Hast du Lust, Mentoring zu lernen?

Wenn du dir einen etwas umfassenderen Einstieg ins Mentoring wünschst, könnte unser „Mentoring lernen“ – Online Paket vielleicht genau das richtige für dich sein.

Es enthält 6,5 Stunden verdichtet zusammengeschnittene Original-Aufnahmen aus unserem Life-Online-Workshop Einführung ins Mentoring.

Du lernst darin viele wichtige Grundlagen und Prinzipien, sowie auch typische Fallstricke, die besser vermieden werden sollten, um deine Mentoring-Beziehungen oder auch Mentoring-Momente bewusst so gestalten zu können, dass deine Begleitung für deine Mentees auf ihrem Lebens- und Lernweg wirklich hilfreich sein kann.

Über unsere Kurssoftware kannst du uns während dessen auch deine persönlichen oder beruflichen weiterführenden Fragen schicken und in einem Online-Space für Absolvent*innen des Kurses auch Kontakt und Austausch mit anderen Menschen finden, die sich für Mentoring interessieren.

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