Was tun wenn jemand weint? – Spontane Trauerprozesse begleiten

trauer mourning

Spontane Trauerprozesse sind ein Segen – aber was braucht es um sie zu begleiten?

…aufgeschrieben von Elke Loepthien-Gerwert

 

Kaum war die Frage „Wie geht’s dir denn eigentlich?“ ausgesprochen, fingen die Tränen schon an zu fließen. Der erste Satz, noch vor der eigentlichen Antwort wurde: „Ich weiß gar nicht, warum ich jetzt so weine.“

Wenn Menschen sich sicher genug fühlen (oder die Traurigkeit groß genug wird), wagt die in ihnen angestaute Trauer, sich zu zeigen. Oftmals kommen die ersten Tränen dann ganz überraschend, sogar für die Person selbst!

Je nachdem wie viel Trauer sich angesammelt hat, kann dies auch in Situationen passieren, die von außen betrachtet gar nicht besonders sicher erscheinen:

  • zwischen Tür und Angel wenn gerade keine Zeit zu sein scheint
  • trotz ungeduldigen oder strengen Blicken anderer Menschen im Raum
  • vielleicht geschieht es irgendwo mitten in der Öffentlichkeit…

Meistens jedoch zeigt sich Trauer praktischerweise in jenen Momenten, wo gerade Raum für sie da ist – oder zumindest da sein könnte.

Trotzdem kommt mit den Tränen einer anderen Person oft große Unsicherheit in den Raum.

Viele von uns konnten die Kompetenz selbst zu trauern oft nur wenig entwickeln, aufgrund unserer Sozialisation inmitten von kulturellen, historisch entstandenen Tabus.

Ebenso haben wir gesellschaftlich nicht (ausreichend) gelernt, wie wir mit dem Weinen anderer hilfreich umgehen können.

Dazu umgeben uns in Filmen und Literatur jede Menge negative Vorbilder – wo leider eher gezeigt wird, was eben nicht hilfreich ist.

Trauerprozesse sind wichtig – auch als Teil unseres alltäglichen Lebens

Neben den intensiven Trauer-Räumen im Rahmen unserer Trauer-Feuer erleben wir auch bei allen anderen Veranstaltungen und im Alltag immer wieder, wie wichtig und wundervoll es ist, wenn Menschen sich gegenseitig beim Trauern beistehen können.

Spontane Trauerprozesse begleiten ist etwas, dass wir auch als psychologische Laien füreinander schenken können – eine alltagsrelevante Kompetenz, die unserer Ansicht nach nicht zu schwer zu erlernen ist. Gerade für Menschen, die mit Kindern arbeiten oder zusammenleben ist es essentiell, deren Trauer auf eine Weise begegnen zu können, die das im Körper angelegte Potential dabei unterstützt, sich zu entfalten.

Deshalb haben wir die für uns wesentlichen Punkte dazu gesammelt, wie wir möglichst hilfreich damit umgehen können, wenn jemand anders zu weinen beginnt?

Hier sind auf unseren persönlichen Erfahrungen mit Trauerarbeit basierende Zutaten: 

1. Ehrfurcht & Gelassenheit

Auch wenn es bisher nur wenig Forschung dazu gibt, was genau im Körper passiert, wenn wir trauern und dabei weinen – die Chancen stehen ziemlich gut, dass dieser „Gefühlsausbruch“, egal wie schmerzlich und leidvoll er erscheint, trotzdem eine befreiende und erleichternde Wirkung haben kann.

Wenn es los geht hilft es deshalb, sich daran zu erinnern, dass da gerade etwas besonderes passiert – eine geheimnisvolle Möglichkeit, wie sich die inneren Selbstheilungskräfte zeigen und einen wirklich wohltuenden Wandel bewirken können.

Wenn wir in dem Moment wo Trauer anklopft darüber Ehrfurcht oder sogar Dankbarkeit für das was bevorsteht in uns finden können, entsteht in uns eine innere Weite. Dadurch sind wir in der Lage, leichter den Raum für große Themen und Prozesse wie das Trauern zu halten – weil wir mit unserer eigenen Gelassenheit und entspannten Gefasstheit ein wenig mehr Sicherheit vermitteln.   

Hebamme für Trauerprozesse sein

Ein Bild das wir in unserer Arbeit oft nutzen, um eine hilfreiche innere Haltung zu erleichtern, ist das von einer Geburt:

Wenn wir jeden kleinen Trauerprozess als eine Art Neugeburt für ein zumindest ein bisschen gewandeltes, erneuertes Selbst ansehen, können wir auch trotz schwerer Emotionen die sich zeigen, doch wie eine Hebamme aufmerksam, mitfühlend und sogar vorfreudig da sein, bezeugen was passiert und einen schützenden Rahmen dafür halten.

Wenn du selbst in dir Unsicherheit fühlst, wenn jemand zu weinen beginnt, kann es helfen, deinen Vagus-Nerv bewusst anzuregen.  Der Vagus ist ein komplexes Organ, das sich fast durch unseren gesamten Oberkörper zieht und die Aktivität vieler anderer Organe beeinflusst. Der US-amerikanische Traumatherapeut und Autor Resmaa Menakem nennt ihn auch unseren „Seelen-Nerv“. Ihn zu stimulieren hilft unter anderem dabei, innere Gelassenheit zu finden, offen, aufmerksam und mitfühlend mit anderen Menschen kommunizieren zu können und auch angesichts schwieriger Emotionen handlungsfähig zu bleiben.

Wir können den Vagus jeden Tag stärken, auf ganz verschiedene Weisen, was sich auf unser allgemeines Wohlbefinden auswirkt. Wenn Trauer los geht, vor allem wenn wir ein wenig ängstlich und nervös darüber sind, brauchen wir einen schnellen Impuls für den Vagus-Nerv, beispielsweise ein paar tiefe Atemzüge bei denen wir bewusst unser Ausatmen verlängern oder auch ein Gebet, dass wir mit oder ohne Worte in Stille in uns sprechen oder fühlen, beispielsweise für Unterstützung bei dem was jetzt gerade geschehen will.

 

2. Aufmerksamkeit & Mitgefühl

Für die wohltuende oder sogar kathartische Wirkung des Trauerns ist es vor allem wichtig, dass Tränen & Weinen von der Person selbst angenommen werden können. Leichter geht das, wenn deutlich spürbar ist, dass es wirklich ok für die anderen Personen im Raum ist, dass das jetzt gerade passiert.

Das können wir als Gegenüber non-verbal signalisieren: mit offenem Blick, bestärkendem Nicken oder gerade auch wenn sich jemand wegdreht, mit ganz klaren einfachen Aussagen wie: „Es ist ok“ oder „ich habe Zeit“ oder „wir sind bei dir.

Trauerprozesse können eine große Kraft entfalten. Manchmal fühlt sich das dann an, als ob der Körper die Sache einfach in die Hand nimmt und man mit Verstand und Willenskraft fast nichts dagegen tun kann.

Dabei ist es in vielen gesellschaftlichen Kontexten völlig tabu oder ein Zeichen von Schwäche, einfach loszuheulen. Kein Wunder also, dass viele Menschen innerlich Scham empfinden und gegen ihre Tränen ankämpfen.

Nicht trauern wollen

Nicht wenige Erwachsene heute wurden als Kinder fürs Weinen bestraft oder isoliert, weggeschickt bis sie sich wieder „beruhigt“ haben. Für ein Kind, dessen Leben davon abhängt, die Beziehung zu den engsten Erwachsenen nicht zu verlieren, wird es dadurch schnell zur Überlebensstrategie, nicht oder möglichst wenig zu weinen. Strenge Regeln im Berufsleben oder auch im Freundeskreis können solche Strategien noch verfestigen.

Ein auf diese Weise verinnerlichter Druck, bloß nicht zu weinen, kann deshalb wenn Trauer anklopft sogar zu einer regelrechten Überlebensreaktion führen, durch die ein Mensch aus innerer Not heraus statt zu trauern beginnt zu kämpfen, flüchten oder in Starre zu verfallen. Über längere Zeiträume Trauer zu unterdrücken kann laut unserer Lehrerin Sobonfu Somé depressiv machen, zu Krankheiten, Aggressionen bis hin zu Selbstverletzungen oder Gewalt gegenüber anderen führen.

Auch wissenschaftliche Studien weisen darauf hin: Emotionen zu unterdrücken steht in Verbindung mit einem schwächeren Immunsystem, Herzerkrankungen, Bluthochdruck sowie mit seelischen Problemen wie Angstzuständen und Depressionen.

Je mehr Gelassenheit und großherziges Willkommen wir als Gegenüber ausstrahlen können, desto leichter kann es für die weinende Person werden, auch kritischen inneren Stimmen zum Trotz den psycho-biologischen Prozessen ihres eigenen Körpers doch zu vertrauen und die Trauer jetzt fließen zu lassen.

Damit wir hilfreich da sein können, müssen wir innerlich still werden können und in der Lage sein, alle Impulse uns einzumischen, die andere Person anzufassen, ihr Taschentücher hinzuhalten oder auf irgendeine andere Art und Weise den eigentlichen Prozess zu beeinflussen, innerlich beiseite schieben.

Herzenswunsch für Wohlergehen

Mitgefühl – so wie wir es meinen – bedeutet, eingestimmt das Leiden des anderen wahrzunehmen, während wir gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit voll und ganz auf das Wohlergehen dieser Person richten und von Herzen einen tiefen Wunsch dafür halten, hilfreich da sein zu können, für das Wohlergehen dieses anderen.

Ein mitfühlender Blick auf das Leiden der anderen (und auch auf unser eigenes Leiden) hilft unserem Nervensystem dabei, gut reguliert zu bleiben während wir die Gefühle und Emotionen der anderen wahrnehmen. Damit dient Mitgefühl uns auch dafür, emotionalen Burnout zu vermeiden, selbst wenn wir andere unter schwierigen Umständen begleiten.

Wenn du in einer Situation bist, in der Zeit nur begrenzt zur Verfügung steht, kann es in diesem Moment hilfreich sein, allen im Raum (einschließlich der trauernden Person) zu signalisieren, dass es „ok ist, wir haben Zeit hierfür, das hier ist wichtig!

(Meiner Erfahrung nach ist immer genug Zeit für einen spontanen Trauerprozess. Denn was sich für die Person, die es durchlebt, manchmal schon vorher wie ein Fass ohne Boden und mittendrin dann wie eine kleine Ewigkeit anfühlen kann, eben weil es so intensiv ist, dauert tatsächlich eigentlich immer nur ein paar kurze Minuten.)

 

3. Einfühlen & Validieren

In dir kannst du mit-fühlen, was die andere Person durchmacht, die Emotionen der anderen werden auch in deinem Körper fühlbar. Wenn du dies zulässt kann dein Gegenüber sich „gefühlt fühlen“ – eine wesentliche Zutat dafür, dass der Prozess sich entfalten kann. Indem du gleichzeitig den Wunsch für das Wohlbefinden des anderen lebendig in dir hältst kannst du deinem eigenen Nervensystems beim sich selbst regulieren helfen.

Das Nervensystem deines Gegenübers kann dank dieser Mischung an der Gelassenheit in dir andocken und sich selbst auch regulieren. Deine Empathie zu schenken ist besonders wichtig wenn Menschen damit ringen, ihre Trauer überhaupt zuzulassen. Dein mit-empfinden kann ihnen dabei helfen, sich selbst intensiver zu fühlen während sie sich gleichzeitig von deiner Aufmerksamkeit sicher gehalten fühlen.

Validieren bedeutet, die Gefühle und Emotionen anzuerkennen und sie als „ganz menschlich“ und „normal“ zu bestätigen. Praktisch kannst du das beispielsweise durch Nicken vermitteln, auch durch gelegentliches zustimmendes Brummen, bestätigenden Augenkontakt und anderes non-verbales Ausdrücken deiner inneren Zustimmung zur Wahrhaftigkeit der Empfindungen, Bilder, Gefühle, Erkenntnisse und mehr die ausgedrückt werden.

(Selbst wenn die Person beim Trauern etwas äußert, dass dir inhaltlich nicht wirklich wahr erscheint, ist es trotzdem wichtig zu validieren, dass es geteilt wird, selbst wenn es nur darum geht das Sprechen an sich als einen essentiellen und vielleicht notwendigen Schritt für ein sich entwickelndes Verständnis der eigenen Situation zu bekräftigen.)

 

4. Ankern & Beschützen

Manchmal sind wir die einzigen Menschen, die einen Trauerprozess mitbekommen oder wenngleich auch viele ihn vielleicht bemerken manchmal die einzigen, die keine Angst davor haben. Je unruhiger die Umgebung ist und je intensiver eine Person ins Trauern kommt, desto wichtiger ist es, dass wir wirklich dabei bleiben, den Menschen nicht allein lassen.

Inmitten der turbulenten Emotionen können wir ein Anker sein, der Halt gibt auch wenn es gerade stürmt.

Manchmal ist es dafür auch wichtig, für physischen Schutz zu sorgen, beispielsweise Schatten zu spenden, eine warme Decke zu holen, Schaulustige weiterzuschicken oder zu beruhigen, oder auf eine andere Weise dafür zu sorgen, dass die trauernde Person keinen physischen Gefahren ausgesetzt ist.

Denn Trauern kann still und zart ablaufen, aber auch durchaus Aufsehen erregend daher kommen: Mit Schwitzen, Zittern, lautem Schluchzen und Beben, Jaulen und Wehklagen, ruckartigen Bewegungen oder auch Ausdrücken von Wut und Zorn.

Falls jemand im Trauern beginnt, sich selbst zu beschimpfen (oder auch anderen Menschen gegenüber Aggressionen zu äußern) kann es wichtig sein, schützend einzugreifen. Denn was wir uns Schlimmes sagen, ist schwer wieder zu vergessen. Auch hier können ganz einfache Botschaften helfen, die Selbstvorwürfen oder Selbsthass etwas entgegen setzen und zeigen, dass jemand einfach liebe-voll da ist, zum Beispiel: „Für mich bist du ein Mensch, der wie alle anderen Menschen verdient geliebt zu werden/ respektiert / akzeptiert / gleichwürdig behandelt zu werden…“

 

5. Raum & Fürsorge

Wenn die Welle der Trauer abgeklungen ist, ist es wichtig, dem Menschen noch ein bisschen Zeit zu lassen.

Oft fühlen Trauernde sich nach dem Weinen erstmal still und leer oder sogar erschöpft. Sie sind noch nicht gleich wieder ganz zurück von ihrer intensiven „Seelenreise“. Wichtig ist, hier mit der Aufmerksamkeit noch bei der Person zu bleiben, noch ein wenig Stille zusammen zu genießen, verbunden mit tiefem Atmen und vielleicht dem ein oder anderen Seufzer.

Wenn die Person langsam wieder „zurückkehrt“ kann ein guter Moment sein, um eine warme Decke, eine Umarmung, ein liebevolles Lächeln oder irgendetwas anderes anzubieten, das gerade nährend und stimmig für die Person und den Moment sein könnte.

(Mit der liebevollen Zuwendung kann es gut sein, dass eine zweite Welle des Trauerns losgeht. Denn oftmals können wir uns noch sicherer fühlen, noch mehr loslassen, wenn wir von einem anderen Menschen, dem wir vertrauen, gehalten werden.)

6. Bekräftigen & Würdigen

Bezeugt werden macht einen großen Unterschied für seelische Prozesse und hier geht es darum, dies deutlich erfahrbar zu machen. Für viele Menschen sind Worte der Dankbarkeit, Wertschätzung, Anerkennung und Bestätigung oder Bekräftigung für das was gerade passiert ist hilfreich. Zum Beispiel: „Wow, danke dass du diesen Moment jetzt gerade mit mir/uns geteilt hast und ich dich dabei bezeugen konnte.“

Diese Art von Willkommen heißen dessen, was gerade passiert ist, kann meines Erachtens auch helfen, manchmal noch rückwirkend einsetzenden Gefühle von Scham über diesen „emotionalen Ausbruch“ zu relativieren, indem eben nicht verurteilt, sondern auf eine Weise vielmehr gefeiert wird, dass er stattgefunden hat.

 

7. Bedeutungsgebung erleichtern

Manchmal haben Menschen auch ein Bedürfnis, mitzuteilen was da gerade in ihnen vor sich gegangen ist. Meine Empfehlung ist, ihnen eine Einladung dafür auszusprechen, beispielsweise „Würdest du gern etwas darüber erzählen, was gerade passier ist?“ oder „Ich würde gern mehr darüber hören, was das jetzt gerade für dich bedeutet hat, magst du ein bisschen darüber teilen?

Hier ist es sinnvoll auch zu benennen, dass es ebenfalls völlig in Ordnung ist, nichts zu sagen oder erst zu einem späteren Zeitpunkt.

Wichtig ist, sich hier nicht selbst einzumischen, also dem anderen eigene Interpretationen überzustülpen, sondern die Deutungshoheit bei der Person zu belassen, die den Prozess durchlaufen hat.

Beim Trauern ziehen wir uns ein Stück weit zurück aus dem Hier und Jetzt und erleben stattdessen im Inneren oft alles mögliche: Innere Bilder oder andere Sinnesempfindungen können aktiv sein, Erinnerungen mischen sich mit Vorstellungen auf eine sehr stark assoziative Weise, so wie wir es vielleicht am ehesten vom Träumen her kennen.

Dazu kommt die Intensität der schmerzlichen Emotionen, die oft bereits schon während des Weinens durchmischt sind auch von angenehmen Gefühlszuständen wie Dankbarkeit. Dank dieser Intensität kann das was während des Trauerns passiert als besonders reichhaltig und bedeutungsschwer erlebt werden. Oftmals werden im Trauerprozess neue Entwicklungsschritte vorweg genommen und auf eine Weise innerlich begonnen oder durchlebt.

In unserem Verständnis ist Trauern ein komplexer Integrationsprozess, der als Potential in uns Menschen biologisch angelegt ist und sich in der ganz frühen Kindheit, ermöglicht durch Unterstützung von unseren Bezugspersonen entfalten kann. Denn indem wir intensiv weinen und uns unserem inneren Erleben hingeben, ordnen wir neu, was in unserem Leben verloren gegangen ist oder unverbunden scheint. Dabei können wir ein Stück weit genau das verinnerlichen, was uns so schmerzlich fehlt.

 

8. Integration einladen

Je nach Situation kann dann ein günstiger Moment kommen, um eine Pause zu nehmen, um noch ein bisschen verdauen und integrieren zu können, was gerade passiert ist.

Gerade weil es so eine wunderbare Referenzerfahrung sein kann, beim Trauern begleitet zu werden, ist es richtig hilfreich, dieses Erlebnis nicht gleich wieder zu überdecken. Ein (gemeinsamer) Spaziergang kann hier schön sein, vor allem wenn dabei ein bisschen Natur sichtbar ist, auch zusammen etwas essen oder trinken kann gut tun.

Falls eine Pause gerade nicht möglich oder sinnvoll ist, kann es hilfreich sein, zusammen zumindest einen oder ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen, bevor es weitergeht.

Eine andere beliebte Methode um die Erfahrung quasi zu besiegeln ist es, die Person zu fragen, ob sie eine Umarmung von dir (oder von jemand anderem im Raum?) bekommen möchte, oder sich wünscht, dass noch jemand neben ihr sitzen bleibt?

 

9. Nochmal danken

Auch für dich als begleitenden Person ist es hilfreich, einen Abschluss für dieses sicherlich aufwühlende Erlebnis zu finden. Dies kann ein innerliches oder auch laut ausgesprochenes Danken sein, vielleicht für die Unterstützung die du ganz am Anfang eingeladen hattest, vielleicht für deinen Körper und deinen Geist, der dir da durchgeholfen hat, oder für was auch immer auf einer spirituellen Ebene für dich als Quelle von Unterstützung möglich erscheint.

Auch eine innere Widmung oder ein Gebet dafür, dass die Erfahrung zum Wohlergehen der Person weiterwirken soll, kann ganz am Ende helfen, für dich selbst das Erlebnis rund zu machen.

 

Was du ganz sicher lieber nicht tun solltest, wenn jemand beginnt zu weinen

 

…ignorieren was passiert

Auch und gerade wenn jemand sich der eigenen Tränen schämt ist es wichtig, eben nicht wegzuschauen und so zu tun als ob nichts wäre. Als Menschen sind wir zutiefst soziale Wesen. Unsere seelischen Heilungsprozesse sind davon abhängig, bezeugt zu werden. In unserem größten Schmerz unsichtbar oder unbemerkt zu bleiben oder nicht validiert zu werden wird oftmals schmerzhafter erlebt als das eigentliche Leiden.

Im Gegenzug scheint das Erleben von zwischenmenschlicher Unterstützung ein ganz wesentlicher Faktor dafür zu sein, trotz traumatischer Erlebnisse keine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln.

Wenn irgendwie möglich ist es also essentiell bedeutsam, sich einer trauernden Person zuzuwenden und mit deiner vollen Aufmerksamkeit bei ihr zu bleiben.

…beruhigen wollen

Ein Trauerprozess ist keine Panikattacke, auch wenn die Person beim Weinen heftig atmet oder laut schluchzt, zittert oder sich sogar schüttelt und zuckt. Im Gegenteil, unsere Erfahrung ist: Wer weint fühlt sich gerade sicher genug – sonst könnte das Trauern gar nicht beginnen. Hier zum Beruhigen aufzufordern setzt eine trauernde Person vielmehr unter Druck, den Prozess zu stoppen und die Trauer (wieder) runterzuschlucken.

So eine Erfahrung kann zu einer großen Last werden, es beim nächsten Mal noch schwieriger machen, überhaupt einen Trauerprozess wagen zu können und zudem auch inneren Zorn schüren – auf sich selbst oder auf andere.

…Taschentücher zücken oder anderweitig eingreifen

Auch wenn Menschen heftig weinen, noch mehr aber wenn die Trauer sich gerade erst sachte zeigt, wohnt jedem Trauerprozess etwas Zartes inne, das bei egal welcher Art von Unterbrechung schnell wie zurückweichen und sich wieder verschließen kann. Beim Trauern blenden wir das Hier und Jetzt ein Stück weit aus, wandern mit der Aufmerksamkeit tief nach innen. Auch eine wohl gemeinte Geste wird dabei letztendlich eine Ablenkung darstellen, die ausreichen kann um eine Person aus dem Trauern wieder herauszuholen – vielleicht bevor der Trauerprozess durchlaufen werden konnte.

Taschentücher gereicht zu bekommen signalisiert für viele Trauernde zudem, dass es nun Zeit ist, sich wieder zu „beruhigen“. Im schlimmsten Fall kann das dazu führen, dass schmerzhafte Emotionen einfach „runtergeschluckt“ werden und die wohltuende Wirkung des Weinens sogar ganz ausbleibt.

Ähnliches gilt auch für alle anderen Sorten von Maßnahmen, die wir gut meinen, die aber doch Eingriffe darstellen, z.B. ganz nah rangehen, räuchern, singen oder tönen, ein Getränk anbieten und alles, was eine Veränderung des Rahmens oder der Situation bewirken würde.

…blindlings umarmen oder berühren

Oft erkennen Menschen in Weinenden ein Bedürfnis danach, gehalten zu sein und körperliche Unterstützung zu erfahren, wie wir es von Kindern kennen. Auch wenn diese Wahrnehmung prinzipiell stimmen kann, ist es doch heikel, die Verletzlichkeit des Momentes zu nutzen um ungefragt körperlich zu berühren und anzufassen, oftmals sogar ohne die Person dabei überhaupt anzuschauen. Denn meist sind wir es selbst, denen es schwer fällt, jetzt gerade die leidende Person in Ruhe zu lassen, weil es ein Gefühl von Hilflosigkeit mit sich bringen kann, nicht einzugreifen.

Mit vorschnellem Körperkontakt machen wir es uns vielleicht selbst leichter – in der Regel aber nicht dem Menschen, der gerade begonnen hat zu trauern.

Berührung ist eine Form des zwischenmenschlichen Kontaktes die immer nur in bewusstem, gegenseitigem Einvernehmen stattfinden sollte.

Berühren ist auch eine Unterbrechung

Fassen wir eine trauernde Person an, kann dies dazu führen, dass der Prozess unterbrochen wird, weil das System nun statt mit dem eigentlichen Trauern damit beschäftigt ist, die Situation neu einzuschätzen. Im schlimmsten Fall jedoch verhindert die verletzliche Verfassung des trauernden Menschen, dass sie klar kommunizieren kann, welche Art von Berührung sie gerade gar nicht möchte – so dass ein gut gemeintes Umarmen als übergriffig oder sogar gewaltvoll erlebt werden kann und zusätzliches Leid erzeugt.

Wenn wir Menschen durch Trauerprozesse begleiten, die wir sehr gut kennen und mit denen wir eine Beziehung haben, die von körperlicher Nähe geprägt ist, dann ist es auch beim Trauern nicht so heikel, wenn wir berühren. Oft kommen insbesondere Kinder sogar auf uns zu um uns von sich aus zu umarmen, sich anzukuscheln oder halten zu lassen.

Für alle anderen Situationen empfehle ich ganz konsequent, erst einmal wirklich abzuwarten und die Person eher innerlich mit dem Herzen zu halten, statt sie anzufassen. Die liebevolle Aufmerksamkeit, die wir in uns fühlen, wird auch über Blicke und unsere Haltung übertragen werden können.

Wenn dann die erste Welle des Trauerns verklungen ist, kann danach der richtige Zeitpunkt kommen, um eine Umarmung oder Berührung anzubieten – denn für viele Menschen kann dies ein Element zum Abschließen des Trauerprozesses sein. Natürlich ist es dabei essentiell wichtig, auch hier nur anzubieten, nicht aufzudrängen, und ein „Nein“ oder „jetzt nicht“ zu akzeptieren.

 

Zusammenfassung

Wenn jemand anders zu trauern beginnt, dann lieber nicht:

  • ignorieren
  • versuchen zu beruhigen
  • Taschentücher zücken oder anderweitig eingreifen
  • schnell berühren oder umarmen

Stattdessen hilft bei Trauerprozessen:

1. Ehrfurcht & Gelassenheit

ein Wunder beginnt und ich darf es bezeugen!
Dabei Unterstützung für den Prozess einladen.

2. Aufmerksamkeit & Mitgefühl

volle Aufmerksamkeit auf den trauernden Menschen und
ein Herzensgebet für dessen Wohlergehen halten.

3. Einfühlen & Validieren

im Körper mitfühlen und bestätigen, dass es ganz
menschliche Emotionen sind, die die andere Person da durchmacht

4. Ankern & Beschützen

da bleiben, Rückversicherung schenken und Raum halten,
dabei physischen Schutz sichern

5. Zeit & Fürsorge

ein langsames Abebben der Trauer erlauben, danach,
wenn die Person wieder ganz ins hier und jetzt zurück kehrt,
Nährendes für Körper oder Seele anbieten

6. Bekräftigen & Würdigen

die Person „willkommen zurück“ heißen und bestätigen,
dass gerade etwas Wichtiges passiert ist

7. Bedeutungsgebung erleichtern

einladen, sich mitzuteilen darüber, was gerade innerlich passiert ist
und welche Bedeutung die Person dem gibt

8. Integration einladen

eine Pause ermöglichen, damit die Erfahrung sich setzen
und weiter verarbeitet werden kann

9. Danken

um selbst gut abschließen zu können, nochmals (innerlich) danken
und mit einem Segens-Wunsch für das Wohlergehen
der anderen Person das Ganze besiegeln

 

Die weitere Entwicklung

Manche Trauerprozesse, vor allem wenn sie bezeugt und begleitet werden, können regelrechte Meilensteine im Leben eines Menschen darstellen. Dabei werden auf einer seelischen Ebene grundlegende Weichen für die Zukunft neu gestellt.

Deshalb kann es besonders schön sein, wenn diese Momente nicht in Vergessenheit geraten, sondern wir nach ein paar Tagen, Wochen oder sogar Monaten noch einmal gefragt werden, wie sich dieses Thema, dieser Schmerz, dieser Verlust in unserem Leben weiter entwickelt hat? Und wie wir heute auf diesen Moment damals im Redekreis, im Büro, beim Spaziergang (oder wo auch immer der Trauerprozess sich ereignet hat) zurückschauen?

 

Meta-Ebene & Referenzerfahrungen für Trauerprozesse

Je mehr wir über das Trauern wissen, desto leichter, einfacher, selbstverständlicher können wir für uns selbst und für andere Raum dafür halten.

Vor allem hilft es, nicht nur kognitiv über das Trauern zu lernen, sondern auch durch Erlebnisse und Referenzerfahrungen in sicher gehaltenen Trauer-Räumen.

Heute erscheint es Tag für Tag notwendiger, die wundersame Fähigkeit unseres Körpers zu trauern und auch Trauern zu begleiten (wieder) zu einem Teil des menschlichen Zusammenseins werden zu lassen – denn es gibt so vieles zu betrauern, so viele Verluste, die wir schon erlitten haben und die uns noch bevor stehen.

Egal ob es die Lage der Welt ist oder ganz persönliche Trauer – so wie es in einem Trauerlied aus der Dagara-Kultur in Westafrika heißt, in der Sobonfu Somé beheimatet war: „Wir können dies hier nicht alleine schaffen“. Je größer die Trauer ist, die wir in uns tragen, desto wichtiger ist es, dass wir dafür Unterstützung bei anderen Menschen finden können.

Findest du auch, Trauern sollte (wieder) ganz normal sein dürfen?

Dann könnte dir vielleicht unsere Weiterbildung in Trauerprozessbegleitung gefallen.

Darin kannst du erfahrungsorientiert unseren trauma-sensitiven Ansatz zum sicheren Begleiten für Trauerprozesse erlernen und ausprobieren.… 

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WICHTIG:

Dieser Artikel und die Empfehlungen darin ersetzten keine (psycho-)therapeutische Begleitung.

Solltest du selbst oder jemand den du kennst in akuter seelischer Not sein, kannst du beispielsweise bei der Telefonseelsorge erste Hilfe finden: Die TelefonSeelsorge® ist Tag und Nacht erreichbar, auch an Wochenenden und Feiertagen. 

Telefon: 0800.1110111 und 0800.1110222 oder online: https://online.telefonseelsorge.de/
Für psychotherapeutische Begleitung kannst du beispielsweise hier professionelle Anbieter*innen in deiner Nähe finden: https://www.somatic-experiencing.de/traumatherapeuten-finden/