…unsere leckersten Zutaten für den Jahreswechsel, aufgeschrieben von Elke Loepthien-Gerwert
Für mich ist die Raunächte-Zeit in jedem Jahr ein besonders fruchtbarer „Zwischen-Raum“ – wenn das alte Jahr schon so gut wie vorüber ist und das Neue noch nicht ganz begonnen hat. Durch ein bewusstes Zurückschauen, Integrieren und neu Ausrichten können wir den Platz zwischen Vergangenheit und Zukunft bewusst einnehmen und beides miteinander verbinden wie zwei elektrische Kabel – so dass Energie in voller Kraft strömen kann.
Wir alle haben und spüren in vielen Momenten unseres Lebens einen Zugang zu etwas Schöpferischen – unserer einzigartigen Art und Weise, mit dem Lebendigen in uns und um uns zu sein, unser Leben und auch unsere Mitwelt zu gestalten.
Sich dessen gewahr zu sein, wie wundersam und wunderbar das eigentlich ist, kann große Ehrfurcht in uns wecken, unsere Vorstellungskraft beflügeln und gerade in schwierigen Zeiten und Lebenslagen dabei helfen, aktive Hoffnung in uns zu bewahren oder wieder zu erwecken.
Doch leicht kann dieses Wunder von der Last und dem vielen Staub des Alltags überdeckt werden, und unser Gespür dafür, wer wir sind und wofür wir hier in diesem Leben sein wollen, wird vielleicht dumpfer, nebliger oder verschwindet ganz.
Dann verlieren wir oft nicht nur uns selbst immer mehr aus den Augen, sondern auch unsere Verbindung zur Natur und zur menschlichen Gemeinschaft um uns, die unseren einzigartigen Beitrag brauchen, so wie auch wir die anderen brauchen.
Ich habe 2008 das erste Mal einen sogenannten „Renewal of Creative Path Process“ kennengelernt, beschrieben von meinem damaligen Lehrer und Mentor Jon Young. Jon hatte mit seinem Team, inspiriert von Gesprächen mit dem Mohawk Chief Jake Swamp und dessen Frau Judy, eine Reihe von Schritten entwickelt, die ihnen dienlich erschienen. Die Parallele zum europäischen Brauchtum rund um die Zeit der Raunächte war sehr deutlich, und damit verbunden auch die Suche nach Wegen der „Medizin-Erneuerung“, die nicht indigene Bräuche koptieren, sondern auch für weiße Menschen (wie mich) authentisch, relevant und verwurzelt in unserer eigenen Verbindung zur Natur sein würden.
Seitdem verbringe ich in jedem Winter (und in kürzerer Form auch in jedem Sommer) Zeit damit, meinen Zugang zu den schöpferischen Kräften in mir und um mich herum zu erneuern und zu erfrischen. Der Prozess hat sich dabei Stück für Stück verändert, gewandelt in eine Form, die für mich hier in diesem Teil der Welt und für mein Leben so wie es jetzt gerade ist passend und stimmig erscheint. Die Zeiten der Erneuerung sind für mich mit das Wichtigste im Jahreslauf – viele Monate lang spüre ich ihren Wind unter den Flügeln und fühle mich getragen, genährt und inspiriert für das was kommt.
Die Macht des Erinnerns
Jedes Erinnern, Benennen und Teilen von Erlebnissen stärkt ihre Kraft in unserem gegenwärtigen Dasein und für unser zukünftiges Leben. Erst durch das Würdigen von dem was war, können selbst kleine Ereignisse zu wahrhaftig heiligen Momenten für uns werden, die noch viele viele Jahre und Jahrzehnte lang unser Leben erleuchten.
Es scheint verrückt: Jedes Mal, wenn wir sie an die Oberfläche unseres Denkens zurückholen, verändern sie sich ein wenig. Das ist ganz natürlich und darin begründet, wie unser Erinnerungsprozess funktioniert. Denn alles was war, verbindet sich bei jedem Zurückschauen mit allem was jetzt gerade ist, und kann so immer wieder neu sinnvoll verknüpft werden.
Unser Erleben hier und heute, wie auch unser Gefühl zu dem früher Erlebten, beeinflussen die Bilder und Sinneseindrücke aus der Vergangenheit jeweils so, dass es gerade jetzt passt und Sinn ergibt. Deshalb ist es ein wichtiger Teil eines Erneuerungsprozesses, immer wieder hilfreiche Fragen zu stellen, durch die wir die Vergangenheit bewusst mit dem Jetzt und mit der Zukunft verbinden.
Die Kraft von Ritualen
Jede Jahreszeit bringt ihre eigenen Qualitäten und Grundstimmungen mit sich, das Rad der Zeit nimmt uns von ganz allein mit in diese „Felder“ hinein, in welchem bestimmte Denk- und Verhaltensweisen fast wie von selbst in uns entstehen können. So schlafen anscheinend viele Menschen rund um den Jahreswechsel länger, essen mehr, sind weniger draußen in der Welt unterwegs und treffen sich seltener mit Freund*innen oder Kolleg*innen und mehr mit ihren engsten Liebsten, und viele von uns sind in der Zeit frei von unseren alltäglichen Jobs.
Dadurch kann fast von selbst die Art von Innenschau erwachsen, die einen Erneuerungsprozess ausmacht. Noch wesentlich mehr Kraft können wir dem Ganzen jedoch verleihen, wenn wir die Zeit mit Ritualen beginnen und beenden. Die Kraft von Ritualen ist wirklich erstaunlich, sie scheint sogar auf uns zu wirken, wenn wir gar nicht daran glauben, wie Michael Norton von der Harvard Business School seit einigen Jahren erforscht. (Seine Studien weisen auch sehr deutlich darauf hin, dass auch im westlichen Kulturkreis sozialisierte Menschen aus sich selbst heraus Rituale kreieren und nutzen, auch wenn sie diese gar nicht so nennen würden.)
Hier findest du nun meine leckersten Zutaten für einen umfangreichen Erneuerungsprozess mit Fragen und Ritualen, mein destilliertes best practice aus den letzten 16 Jahren, für dich als Inspiration und zum Experimentieren damit, was deine eigenen leckersten Zutaten für einen gelungenen Erneuerungsprozess sein könnten.
Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen und vielleicht selbst Ausprobieren!
Teil 1 – Die Jahreswechsel-Erneuerungszeit öffnen
Ich starte meine Erneuerungszeit gern zur Wintersonnenwende, dem Tag wo inmitten der längsten Dunkelheit das Licht „wiedergeboren“ wird.
Besonders nach einem hektischen Dezember oder einer Zeit der Anspannung kann es gut tun, die längste Nacht des Jahres, die Nacht vor der Wintersonnenwende, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang als Wach-Nacht zu verbringen, allein oder mit engen, vertrauten Menschen, an einem Feuer, mit einer Kerze oder auch in der Dunkelheit sitzend, und dabei ganz bewusst in der langen Stille zu sitzen, zu fühlen und zu sein.
Selbst wenn ich nicht die gesamte Nacht dafür nehmen mag, kann es wunderbar sein, zumindest ein, zwei Stunden innerhalb von ihr dafür zu nutzen, allmählich zur Ruhe zu kommen und mich einzustimmen auf den Zauber dieser besonderen Zeit im Jahreslauf.
So ein Besinnungs-Ritual kann besonders gut wirken, wenn ich am Anfang einlade, in dieser Zeit ganz zu mir zu kommen, mich geborgen, geliebt und genährt zu fühlen, Tiefe zu erleben und meinen inneren Wesenskern zu berühren und die Verbindung zu all dem deutlicher zu spüren, was für mich glaubwürdige unfassbare Ansprechpartner*innen oder Kräfte sind (beispielsweise Gott, Mutter Erde, die Kraft die Leben schafft, Geisthelfer, Engel, Ahn*innen, Elemente, vertraute Tiere oder Pflanzen, mein Tiefenselbst oder Höheres Selbst oder was auch immer für dich vorstellbar und relevant ist).
Mit kleinen oder größeren Kindern gemeinsam kann man auch vor dem Schlafengehen nur ein bisschen die „Dunkelzeit“ würdigen, alle Lichter löschen und mit Psst und Shhh, so wie es die Kleinsten gerne mögen (vielleicht aneinander gekuschelt oder Hände haltend) ganz nah zusammensitzen und die Dunkelheit fühlen, die uns so weich umhüllt. Auch der Dunkelheit und Kälte zu danken kann schön sein, weil sie vielen Pflanzen und Tieren hier in diesem Teil der Erde ermöglicht, sich im Winter ganz tief auszuruhen, damit sie im Frühling in neues Leben starten können.
Es kann wunderbar sein auf diese Weise mit der Dunkelheit ein bisschen mehr Freundschaft zu schließen, auch zwischendurch kichern ist erlaubt – und dann nach einer Weile eine Kerze anzuzünden und damit die Wiedergeburt des Lichts auf eine ganz schlichte Weise zu feiern.
Mit oder ohne Wachnacht: Am Morgen des 21. Dezembers (in manchen Jahren ist es der 22. Dezember), bringe ich gern Dankes-Gaben in den Wald für die Lebewesen da draußen: Vogelfutter (aus heimischen Sämereien), (Bio-)Gemüse und Obst, und vielleicht auch etwas Fleisch (aus artgerechter, biologischer Tierhaltung) für meine fleischfressenden Nachbarn.
Besonders gern mag ich es, mit Kindern und Erwachsenen gemeinsam rauszugehen und für das Da-Sein all der anderen Lebewesen zu danken und auch für die vielen Begegnungen mit Tieren, Pflanzen, Pilzen, Elementen die wir im fast vergangenen Jahr hatten. Oft gibt es einen Ort in der Nähe, der sich hierfür besonders eignet, beispielsweise einen besonders großen, ehrwürdigen Baum, der das Ganze bezeugen kann.
Teil 2 – Einen Fokus-Platz für die Lebens-Kräfte gestalten
Zurück aus dem Wald mache ich mich gern auf, um immergrüne Zweige zu holen, die wir später als Symbol und Fokuspunkt für die Kraft der Erneuerung in unserem Zuhause aufstellen. Wir schneiden keine extra dafür ab sondern suchen solange, bis wir welche finden, die von Herbststürmen oder Waldarbeiten liegen gelassen wurden.
(Früher kauften wir auch öfter einen kleinen Baum bei Bauern in der Nähe und ließen uns dabei ganz davon führen welcher gern mit uns nach Hause kommen will? Manchmal ist es der für uns schönste und manchmal auch einer von dem wir vermuten, niemand anders würde ihm eine Chance geben wollen. Sobald er geschmückt ist, ist er immer zauberhaft!)
Gemeinsam schmücken wir die grünen Zweige mit vielen Sternen sowie anderen Symbolen für das Licht und die Kräfte der Natur, wie Äpfel, Zapfen oder Kugeln.
Wenn der Baum fertig geschmückt ist, laden wir die Lebens-Kräfte ein, für die kommenden Wochen durch ihn in unserem Haus zu leuchten für die kommenden Wochen, in denen das Licht langsam, ganz langsam zurück in die Landschaft kommen wird, und in denen wir das Bild der Hoffnung aufs Grün eines neuen Frühlings hier in unserem dunklen Zuhause so dringend brauchen können.
Teil 2 – Die leuchtenden Momenten feiern
Wenn du zurück schaust auf dein vergangenes Jahr…
- Welche Erlebnisse waren für dich besonders schön und voller Freude?
- Wann und wo hast du dich am stärksten verbunden gefühlt – mit dir selbst, mit der Natur, mit anderen Menschen in deinem Leben?
- Welche faszinierenden Synchronizitäten haben sich ergeben?
- Welche Momente oder Ereignisse waren so wundersam und besonders oder verrückt, dass sie sich magisch oder wie verzaubert anfühlten?
Diese besonders süßen Momente feiere ich gern auf gesellige Weise im allerengsten Kreis mit meinen Liebsten. Am Abend der Wintersonnenwende versammeln wir uns um ein üppiges und ausgedehntes Essen (z.B. rund um einen Tischgrill) und erzählen schon währenddessen von den Ereignissen des Jahres, die unsere „Highlights“ waren, und danken für sie! Was oft schon ausgelassen und mit viel Heiterkeit beginnt, gipfelt im Auspacken der Weihnachtsgeschenke. Sie sind ein kleiner, anfassbarer Ausdruck der liebe-vollen Fülle, die wir empfangen haben und von der wir nun etwas weitergeben. (Auch ganz ohne Geschenke zu feiern haben wir schon mehrmals gewagt, was noch mehr Aufmerksamkeit für all das ermöglicht, wofür wir ohnehin schon dankbar sein können.)
Mit der spät-abendlichen Ruhe eröffnet sich ein Raum für tieferes, noch besinnlicheres Teilen, rund um die besonders kostbaren Momente, die wie Schätze golden hervorstrahlen aus diesem vergangenen Jahr, und auch die Wendepunkte, wo wichtige Weichen neu gestellt wurden und Veränderung entstanden ist.
(Das Teilen dieser und anderer Geschichten auch online stattfinden, oder sogar am Telefon. Es sind meiner Erfahrung nach vor allem die Absicht, die Verletzlichkeit und die Herzoffenheit, die die Qualität eines Gespräches viel stärker beeinflussen, als das Medium selbst. Auch wenn du bisher wenig Erfahrung damit hast, kann ich es dir wirklich sehr empfehlen mit technischen Hilfsmitteln in den Austausch mit anderen Menschen zu gehen, vor allem wenn die Alternative ist, ganz allein damit zu sein oder jemand anders ganz allein zu lassen. Hier findest du ein paar Anregungen für verbindungsförderndes Zoomen.)
Vor dem Schlafengehen oder am nächsten Morgen schreibe ich dann gern etwas darüber auf, auf einem großen Blatt Papier, mit bunten Farben, kreuz und quer mit Verbindungslinien zwischen einander, eine Art Landkarte der Schätze und Wendepunkte.
Diese Karte kann während der kommenden Tage und Wochen weiter ergänzt werden. Es ist oft erstaunlich, wie mit der Zeit mehr und mehr Erinnerungen auftauchen. Manchmal wandere ich bewusst durch meinen Kalender vom vergangenen Jahr, wo Spuren verzeichnet sind, die auf etwas hinweisen was war.
Nach dem ersten Sammeln und Festhalten der wundervollen Erlebnisse und Wendepunkte kommt für mich ein erster guter Zeitpunkt für ein 2er-Treffen oder einen (kleinen oder gerade zumindest online möglich auch größeren) Kreis mit Freund*innen, Ankern, Buddies oder anderen wichtigen Menschen in deinem Leben.
Manchmal ist es auch genau umgekehrt: Wenn es dir schwer fällt, für dich allein Sachen aufzuschreiben, kann es genauso wirkungsvoll sein, direkt mit anderen Geschichten auszutauschen und dann vielleicht hinterher dazu Notizen zu machen.
Ob mit oder ganz ohne Schreiben mag ich es sehr gern, vor allem bei angenehmen Erinnerungen sie nicht nur mit dem Kopf , sondern mit meinem ganzen Körper zu besuchen, und alle Empfindungen so richtig intensiv wahrzunehmen. So kann die Erinnerung und ihre Kraft für unser Leben richtig groß werden, uns regelrecht ausfüllen, und dadurch stärker in uns verankert werden. (Umgekehrt kann es bei schwierigen Erinnerungen wichtig sein, genau dies nicht zu tun, sondern sie mir eher als Stummfilm in Grau, als Serie von Fotos oder sogar nur Schilder mit Überschriften vorzustellen, also mehr innere Distanz dazu aufzubauen und mehr Aufmerksamkeit auf dein Hier und Jetzt zu halten (vor allem, wenn du dich gerade geborgen und sicher fühlst). Das hilft dabei, nicht überwältigt zu werden.)
Dein Erinnern sollte immer angenehm genug sein, so dass du dich deutlich überwiegend wohl dabei fühlst.
Teil 3 – Verbindungen & Zutaten
Im Teilen und Anhören dieser Geschichten rücken sich langsam aber sicher weitere Fragen in den Vordergrund. Manchmal sind diese und auch noch ganz andere Gedanken und Fragen auch von Anfang an schon dabei und wollen mit notiert oder erzählt werden. Der Zeitpunkt ist im Grunde nicht so wichtig, Hauptsache es ergibt sich ein guter Flow für dich.):
- Warum und wie konnte dieses Erlebnis für dich so wundervoll sein?
- Was waren die Zutaten, die es ermöglicht haben?
- Welche Rahmenbedingungen haben es begünstigt?
- Was davon kannst und möchtest du selbst für das neue Jahr wieder kreieren?
- Was würdest du vielleicht im neuen Jahr anders machen?
- Was sind die Orte, Menschen und anderen Wesen, oder auch Projekte und Organisationen, mit denen du dich besonders verbunden gefühlt hast? Und was war das Verbindende?
- Was sind Theorien, Sichtweisen, Denk- oder Seins-Schulen, Bewegungen, Lern- oder Wirkfelder mit denen du dich besonders verbunden gefühlt hast? Und was daran war das Verbindende?
Diese Fragen lassen sich sowohl allein für mich, als auch im Gespräch mit anderen bewegen und erforschen. Auch hier schreibe ich gern auf, was mir als wesentliche Erkenntnis erscheint, mache mir Notizen über Ideen, die mir kommen, meistens nur ganz kurz, in wenigen, einzelnen Stichworten.
Für diese und die anderen Fragen kann es wichtig und sinnvoll sein, auch weiter zurück in die Vergangenheit zu schauen und sie für den Verlauf meines gesamten bisherigen Lebens beantworten. Dafür brauche ich natürlich ein bisschen mehr Zeit. Die Erkenntnisse jedoch und die Energie die durch das Wiederbeleben der längst vergangenen Schätze ins Hier und Heute kommt, sind ein großes Geschenk, dass ich mir selbst immer wieder machen kann.
Teil 4 – Verluste betrauern
Jedes Jahr bringt Herausforderungen mit sich – vielleicht waren es in diesem Jahr besonders viele! Es ist ein wichtiger Teil des Erneuerungsprozesses, das Schwierige und Leidvolle nicht unerwähnt zu lassen:
- Was hast du in diesem Jahr verloren? (Hier kannst du auf persönliche, aber auch auf kollektive Verluste schauen, die dich berühren und schmerzen.)
- Welche schmerzlichen Erlebnisse und Erfahrungen hast du durchlitten?
- Was bereust du?
- Worin bist du gescheitert?
- Welche Zukunftsvisionen und Wünsche (für dich und für die Welt) haben sich zerschlagen?
- Welche Erwartungen konnten sich nicht erfüllen, für dich, für deine Liebsten für andere (vielleicht alle) Wesen, mit denen du dich verbunden fühlst?
- Welchen Groll hältst du in dir (gegen andere Menschen, Umstände, das Leben oder dich selbst?) Welcher tiefe und berechtigte Schmerz versteckt sich hinter diesem Groll?
- Welche leidvollen Erfahrungen der Menschheit insgesamt und auch der Erde als großer Lebensgemeinschaft hast du in diesem Jahr mitbekommen und mit durchlitten?
- Welche von diesen Verlusten sind vielleicht noch gar nicht abgeschlossen, sondern ereignen sich immer weiter? (Dies kann persönliche Themen betreffen, beispielsweise geliebte Menschen an eine Demenzerkrankung zu verlieren, oder auch kollektive Themen, wie Diskriminierung und Marginalisierung, fortlaufender Kolonialismus, Imperialismus, Umweltzerstörung uvm.).
Auch die Antworten auf diese Fragen halte ich in kurzen Schlüsselworten für mich selbst fest, und ich öffne mich für die Trauer über all diese Dinge, die meinen Schmerz darüber lindern und transformieren kann, in Medizin für meinen weiteren Weg und für die Gemeinschaft deren Teil ich bin. (Wenn du mehr übers Trauern wissen möchtest, kannst du in unserem kleinen e-Büchlein hier viele Anregungen finden.)
(Selbst-)Mitgefühl schenken
Was wir vor allem brauchen, um schwierige Erlebnisse durchzustehen (sowohl unsere eigenen, als auch die von anderen Menschen) und dabei nicht verletzt, sondern verjüngt daraus hervor zu gehen, ist Mitgefühl. Gerade das Mitgefühl mit uns selbst (das gerade Menschen des westlichen Kulturkreises oft erst im Laufe ihres erwachsenen Lebens erlernen!) hilft enorm dabei, schlimme und sogar traumatische Erlebnisse so zu überstehen, dass wir an ihnen wachsen und reifen können, statt daran kaputt zu gehen.
Wenn ich in meiner Rückschau an schmerzhafte Punkte komme, hilft es mir sehr, mich selbst (wortwörtlich!) in den Arm zu nehmen, meine Hand zu halten oder mir selbst über den Kopf zu streicheln und dabei leise im Innen oder auch einfach laut vor mich hin mitfühlende Worte zu sprechen, wie beispielsweise: „das war wirklich schwer, schmerzhaft, schlimm…. Es ist ok, traurig oder verzweifelt zu sein, ich bin hier und für dich da.… mmh, das fühlt sich ganz ganz traurig an, und das ist völlig ok so.“
In jedem Moment von Selbst-Mitgefühl können wir uns daran erinnern, dass wir sicherlich nicht die erste Person unter der Sonne sind, die solche Gefühle erlebt – sondern was auch immer wir gerade in uns fühlen, etwas ist, dass unzählige Menschen so oder ähnlich auch kennen und vielleicht auch jetzt gerade in diesem Moment durchleiden. Dadurch kann sich die Enge in unserer Brust und in unserem Denken vielleicht etwas weiten und wir trainieren gleichzeitig auch unser Mitgefühl für Andere.
Selbst-Mitgefühl ist eine lebenswichtige Fertigkeit, die wir alle erlernen können, und die für mich einen wesentlichen Schlüssel für viele drängende Fragen unserer Zeit darstellt, allen voran dafür, wie wir lernen können, mit einander voller Mitgefühl umzugehen – nicht nur mit denen, die uns nah stehen, sondern auch mit denen, die wir als „die anderen“ ansehen und auch mit den vielen nicht-menschlichen Wesen auf der Erde.
Sinn verleihen
Oft sind es gerade die schwierigen Erfahrungen, die einen Freiraum für echte, tiefgreifende Veränderungen schaffen – welche wir zwar schon irgendwie ersehnen, doch oft auch gleichermaßen scheuen.
Die ihnen innewohnenden Schätze finden wir inmitten furchteinflößender Dunkelheit, wenn wir es wagen, genau hinzuschauen auf das, was uns so schreckt und schmerzt. Auch das Finden von Sinn und Bedeutung ist eine wesentliche Säule für das Verarbeiten schlimmer, sogar traumatischer Erlebnisse.
Dabei liegt der Sinn nicht in dem Erlebten selbst verborgen – es geht also nicht darum, etwas zu finden was schon längst da ist. Denn ein Leiden ist an sich nicht sinn-voll. Es sind wir als Menschen, die aktiv und bewusst etwas Sinnvolles daraus machen können – indem wir auf eine besondere Weise auf das Geschehene schauen und dem Ganzen einen Sinn verleihen.
Und dieser Sinn liegt meines Erachtens nach kaum in der Vergangenheit und selten in der Gegenwart, sondern fast immer in der Zukunft.
Eine der wichtigsten Fragen, um Schmerzliches auf diese Weise zu transformieren habe ich von Paul Raphael vom Volk der Anishinabe lernen können, der schon viele Male in Deutschland war. Sie lautet:
Wie kann dir das Erlebte ermöglichen und helfen, anderen zu helfen?
Die Frage verrät in sich bereits, dass ich den Sinn in den schlimmsten Erlebnissen oft erst dann finden kann, wenn ich nicht so sehr auf mich selbst und meinen eigenen Vorteil schaue, sondern das Wohl der Gemeinschaft in den Blick nehme.
Es kann sehr wohltuend sein, gerade auch diese Aspekte des Jahres mit anderen Menschen zu teilen und zu reflektieren, mit Partner*innen, Freund*innen, Gemeinschaft. Gemeinsam sind wir stärker und auch die schwerste Last lässt sich leichter tragen, wenn sie sich auf viele Schultern verteilt.
Die leidvollen Erlebnisse können wie ein besonders starker Kitt in einer Gemeinschaft sein: Sie helfen uns, die eigene Verletzlichkeit deutlich zu spüren, zuzulassen und auch zu zeigen, wodurch die Verbindung zwischen uns wächst und das Vertrauen ineinander gestärkt wird. Es ist ein großes Geschenk, in der eigenen Trauer von anderen Menschen gehalten zu sein, so wie es auch ein großes Geschenk für diese Menschen ist, wenn ich mit mit meiner Trauer zu zeigen wage.
Nach den Weihnachtstagen und vor Silvester kann die günstige Gelegenheit sein, mit den engsten vertrauten Menschen für ein paar Stunden an einem Feuer zu sitzen. Egal ob es draußen inmitten der Kälte wärmend prasselt oder als Kreis von vielen Kerzen in einer gemütlichen Stube unsere Gesichter mit rotgoldenem Schein erhellt – das heiße Flackern der brennenden Flammen erinnert uns daran, dass auch die härteste Substanz transformiert werden kann.
Das Feuer kann ein wunderbares Gegenüber für unsere Trauer, Wut und andere Emotionen sein, und es leuchtet uns den Weg zum Einladen und Umarmen und Festhalten von dem Sinn, für den wir uns entscheiden, ihn unserem Leiden zu verleihen – zum Wohle anderer.
Mit kleinen Gaben an das Feuer kann ich dabei meine Absicht immer wieder bekräftigen, die Energie des Schmerzes in etwas Sinn-volles zu verwandeln, in etwas Fruchtbares für die Gemeinschaft des Lebens.
(Auch online kann dies gemacht werden, vor allem wenn jede Person sich selbst ein kleines (Kerzen-)Feuer vor Ort mit dazu holt.)
Teil 5 – Wer bin ich und wofür bin ich hier?
Wenn die oben aufliegenden Themen eines Jahres etwas abgeschöpft und verarbeitet sind, zeigen sich oft die darunter liegenden und damit verbundenen langen (vielleicht roten, goldenen oder ganz bunten?) Fäden unseres gesamten Lebenswegs.
Dabei sind die Antwort auf die Fragen wer ich bin und wofür ich hier bin, ein ganzes Leben lang (leichten oder sogar gravierenden) Veränderungen unterworfen.
In wissenschaftlichen Studien zeigt sich, dass viele Persönlichkeitstests und auch umfangreiche Horoskope leider überhaupt gar nicht aussagekräftig für die Spurensuche zu uns selbst sind. Die einzige Ausnahme bilden bisher Tests für die „Big Five“, fünf wesentliche Eigenschaften, die in in ihrer Mischung einzigartig sind, unser Sein in der Welt sehr stark beeinflussen, und über Tests verlässlich erfragt werden können. Einen kostenlosen Big Five Test (auf deutsch) findest du beispielsweise hier.
In der ruhigen Jahreswechsel-Zeit ist die Gelegenheit günstig, noch einmal ganz ganz weit zurück zu schauen, zu sammeln und in meinen Betrachtungs-Raum einzuladen und zu würdigen, was im Laufe meiner Biografie so alles geschehen ist, doch auch heute noch bedeutsam und wesentlich für mich und meinen Lebensweg, meinen Seelenweg ist.
Mit wenigen wichtigen Menschen meines Lebens kann ich teilen (und/oder für mich selbst aufschreiben):
- Wer bin ich?
- Wo komme ich her, was sind meine Wurzeln, in meinem eigenen Leben und dem meiner Vorfahren?
- Was waren wesentlichen Momente in meinem bisherigen Leben, in denen durch schlüsselhafte Entscheidungen und Begegnungen sich Weichen stellten, die den Verlauf der Dinge für immer verändert haben?
- Welche Momente kann ich erinnern, in denen ich wie auf dem Gipfel meines eigenen Berges gestanden habe und einen weiten Überblick auf all das erhaschen konnte, was mein Leben, meine Persönlichkeit und Identität in der Welt, vor allem das, was ich vielleicht meine Seele nennen könnte, ausmacht?
- Welche Visionen/Ausblicke auf mein Leben habe ich in der Vergangenheit geschenkt bekommen und wie haben sie sich bis jetzt verwirklicht?
- Was sind die allertiefsten Sehnsüchte, die mich in diesem Leben im Innern (also schon seit meiner Kindheit und Jugend bis heute) bewegen und immer weiter und weiter ziehen?
- Welche Früchte sind in diesem vergangenen Jahr durch mich in die Welt gekommen?
- Welche Gaben, besonderen Eigenheiten und Qualitäten wirken durch mich in die Welt hinein? Wofür schätzen mich die Menschen, die mit mir zu tun haben?
Die letzte Frage können wir nicht für uns selbst beantworten – dafür brauchen wir den Blick und die Worte von anderen Menschen. Es ist wichtig und hilfreich den Mut aufzubringen (immer wieder) danach zu fragen:
- Was magst du an mir?
- Was schätzt du an mir?
- Was tut dir gut wenn wir zusammen sind?
- Welche Art zu Sein, welche Qualitäten, Eigenheiten, Beiträge glaubst du bringe ich mit in die Gemeinschaft?
- Wie würdest du mein Sein/meinen Wesenskern in Worte fassen und beschreiben?
Ich führe seit vielen Jahren ein kleines Büchlein in dem ich sammle, was mir an Wertschätzung ausgesprochen wird. Wenn ich zur Jahreswechsel-Erneuerungszeit allein bin, aber auch zwischendurch, wann immer ich es brauche, schaue ich in das Büchlein hinein wie in einen Spiegel, in dem ich besser wahrnehmen kann, was durch mich in die Welt kommt, welche Qualitäten.
Das jedem einzelnen Menschenkind innewohnende Genie oder die individuellen Gaben oder Stärken haben dabei selten mit einer konkreten Kunstform zu tun. Ich mag die Sichtweise darauf, die ich vor vielen Jahren von Michael Meade gehört habe, nach welcher der Begriff „Genie“ nicht nur auf die Meister-Musiker*in zutrifft, vor der die ganze Welt sich verneigt, ganz im Gegenteil. In unserer Kultur hören wir oft unterschwellig oder sehr deutlich, dass nur wenige Personen wirklich begabt sind – und wir selbst und auch unsere Liebsten um uns herum vermutlich gar nicht dazugehören.
Dabei bringt jede Person ganz klar einzigartige Qualitäten mit, die alle anderen in ihrem Kreis jeden Tag brauchen, einfach damit wir gemeinsam existieren und gedeihen können.
Unsere „Gaben“ sind dabei nicht das, was wir tun – sondern wie wir etwas tun, nämlich auf unsere ganz besondere, einzigartige Art und Weise.
Unser „Genie“ sind nicht unsere Begabungen (wie musizieren zu können), sondern vielmehr eine Mischung aus unseren Talenten, unseren Sehnsüchten, die uns lenken, unserem einzigartigen Stil und Art und Weise, mit dem Leben und mit anderen Wesen umzugehen, und vielem mehr, was eine herrliche Wolke aus Worten, Geschmäckle und spürbarer Besonderheit ergibt.
Es ist ganz natürlich, dass wir unser inneres Wunderwerk nie ganz und gar (er)fassen können – dafür ist es viel zu komplex und geheimnisvoll. Doch uns ihm immer wieder neu anzunähern kann hilfreich dafür sein, uns selbst zu spüren und mit wachsendem Vertrauen und Zufriedenheit das hinschenken zu können, wofür wir in diesem Leben einstehen und handeln wollen.
Das Paradox dabei ist, dass wir das Gefühl eines stabilen Ichs, einer tragfähigen Identität in der Welt, als Menschen uns nur dann langfristig erhalten können, wenn wir auch den Wandel darin bewusst wahrnehmen und ihm Raum und Ausdruck geben. Veränderung ist Teil des Lebens und auch Teil unseres Lebens, und sie zu umarmen kann wundersamer Weise ein Erleben von innerer Stabilität begünstigen.
Für mich ist mit das allerwichtigste daran, mich immer wieder neu mit meinem Wesen im Wandel zu beschäftigen, dass mir dies hilft, mit mehr Vertrauen, Hingabe und Freude wirklich für die andern da zu sein und zu handeln – für meine Liebsten, aber eben auch für die Gemeinschaft allen Lebens.
Teil 6 – Das Leben feiern
Mir all der Gaben bewusst zu werden, die ich in mir selbst und in anderen entdecken kann, füllt das für Glück bereitstehende Gefäß in meinem Inneren bis über den Rand mit Dankbarkeit und Freude. Das Ende des Jahres ist für mich eine stimmige Gelegenheit, das ganze Leben, das so viel Fülle schenkt, noch einmal besonders ausgelassen und energievoll zu feiern.
Silvester macht es möglich, die vielen Worte und Gedanken ruhen zu lassen und stattdessen den Körper zu bewegen, zu tanzen, zu spielen, und ganz besonders fröhlich zu sein.
(Auch das kann online gehen. Hier findest du Anregungen für eine Dance-Party über Zoom, von denen schon seit Monaten weltweit jede Menge stattfinden: https://medium.com/tixel/how-to-host-a-zoom-dance-party-970bea59b76.)
Wenn ich lange und intensiv zurückgeschaut habe, deutlicher wahrnehme und tiefer verstehe was war, kann ich das Jahr bewusster beschließen, abschließen, und die letzten paar Stunden und Minuten bewusst zelebrieren.
Ich mag es sehr, wach zu bleiben bis nach unserer Zeitrechnung mitten in der Nacht das alte Jahr endet und das neue Jahr beginnt.
Das Neue Jahr beginne ich gern mit viel Stille und aufmerksamem draußen Sein, allein oder zusammen mit meinen Liebsten einen Spaziergang zu machen, um vor allem die nicht-menschlichen Wesen in unserer Umgebung im Neuen Jahr zu sehen und zu grüßen.
Am liebsten besuche ich ein natürlich ganz kaltes Wasser an einem Bach, Flüsschen oder See, um das lebensspendende Element zu segnen und um für mich und meinen Liebsten von den Kräften und Wesen in der Natur einen Segen zu erbitten, einfach für Gesundheit, Freude und Lebendigkeit für das neue Jahr.
Mich am Neujahrstag allein oder zusammen mit meinen Liebsten draußen in der Natur zu waschen (zumindest die Hände oder die Stirn) oder sogar komplett zu baden hilft mir, die Lebenskraft in eine neue Runde zu schicken und mich voll und ganz bis in die Tiefe erfrischt und erneuert zu fühlen.
Teil 7 – Der Nordstern
Ein Nordstern steht für etwas, das uns Orientierung für unseren weiteren Weg bietet, auch wenn wir es nie vollständig erreichen können. Die Jahreswechsel-Zeit ist eine wunderbare Zeit, um unseren Nordstern zu überprüfen und uns immer wieder neu auszurichten, nach dem was uns am Wichtigsten ist.
Statt mir konkrete, messbare Ziele für das kommende Jahr zu setzen, setze ich meinen Kurs auf Werte, die mir wirklich am Herzen liegen. Ich finde es hilfreich, diese Werte in jedem Jahr wieder neu abzuschreiben und für mich selbst dadurch festzuhalten. Sie könnten auch in Form von Gedichten, Liedern, Bildern oder Skulpturen, selbst symbolisiert von gefundenen oder gekauften Gegenständen eine (an)fassbare Form finden, die mich durch das kommende Jahr begleiten kann, wenn ich ihnen einen Platz in meinem Zimmer schenke.
Hilfreiche Fragen um ihnen auf die Spur zu kommen könnten sein:
- Was sind die grundlegenden Werte in deinem Leben?
- Was ist dir am wichtigsten und liegt dir wirklich am Herzen?
- Was sind die tieferliegenden Bedürfnisse und großen Sehnsüchte, deren Erfüllung du dir immer wieder (neu) wünschst?
- Mit welchen Intentionen möchtest du in das kommende Jahr gehen?
- Welche Qualitäten möchtest du einladen, für dich selbst und für alle die mit denen du verbunden bist?
Zusätzlich zur Innenschau bitte ich am Neujahrstag gern irgendein kleines Orakel, mir etwas über das zu verraten, was mich im neuen Jahr erwartet, zum Beispiel indem ich einen Spaziergang mache, bei dem ich eine Frage im Herzen trage. Das weckt meine Neugier, weil es so geheimnisvoll daher kommt und ich dadurch viel aufmerksamer werde.
Besonders hilfreich finde ich dabei diese Fragen:
- Was wird durch mich kommen?
- Was kann mich unterstützen?
- Was brauche ich?
- Worauf kann ich meine Aufmerksamkeit lenken, das besonders hilfreich wäre?
Oft entdecke ich durch die Ereignisse auf meinem Spaziergang weitere Qualitäten, Werte und Intentionen, die ich ebenfalls einladen möchte fürs neue Jahr.
Einladen und Bekräftigen
Indem ich die Werte in Worte fasse, sie denke oder ausspreche, hole ich sie bereits in den Raum. Auch wenn sie immer Ideale bleiben, die nicht vollkommen verwirklicht sein werden, stellen sie sich als Qualitäten schon ein Stückchen weit ein, sobald ich sie über die schöpferische Wirkkraft der Sprache berühre.
Einen Wert denken, sprechen, beten oder als Symbol/Gegenstand in meine Hand zu nehmen ist für mich, wie eine Tür zu öffnen zu einem Raum voller Möglichkeiten, wo eben diese Qualitäten enthalten und lebendig sind. Insofern ist jedes Werte-Wort ein Zauberwort! :-)
Wenn ich mich wage, es zu sprechen auch wenn andere Menschen dabei sind, kann ich seine Wirkkraft verstärken.
Deshalb mache ich gern am ersten oder zweiten Januar ein Bekräftigungsritual, wo ich (allein oder zusammen mit anderen), all das an Werten, Intentionen oder Qualitäten einlade, was ich mir für das neue Jahr wünsche, und zwar so allgemein wie möglich, ohne es mit konkreten Bildern in Verbindung zu bringen (beispielsweise würde ich um „ein geborgenes Zuhause“ oder um das „Gefühl, voll und ganz zuhause zu sein“ bitten, nicht um „ein Haus mit einem Holzofen und großen Fenstern“).
Für dieses Ritual braucht es eine oder mehrere Gaben, die ich mit meinen Wünschen zusammen verschenke. Ein großes oder kleines Feuer könnte einen guten Empfänger dafür bieten (mit brennbaren Gaben wie beispielsweise Haferflocken oder selbst gesammeltem getrockneten Beifuß), oder ich könnte die Gaben (biologisch leicht abbaubar wie getrocknete Kräuter oder auch Steine, die ich mag) einem fließenden Gewässer übergeben, mit Gebeten für ihre Erfüllung. Auch große Bäume sind manchmal geeignete „Empfänger*innen“ für Gebete und Gaben (und natürlich auch einfach ein Fleckchen Erde, sogar drinnen in einem Blumentopf).
Es kann zutiefst berührend sein, hierbei neben den Gebeten für mich selbst vor allem auch für das Wohlergehen meiner Liebsten und für alle anderen Wesen zu beten und die Qualitäten einzuladen, die ich für die Welt ersehne.
Je mehr ich meine Zeit, Aufmerksamkeit und Lebenskraft zur Verfügung stelle, um das Wohl des größeren Lebensnetzes zu bedenken, desto stärker kann ich mich als Teil des Ganzen und auch selbst davon getragen fühlen.
Teil 8 – Zukunftsbilder
Indem ich Intentionen setze und Qualitäten und Werte einlade, stelle ich in meinem Innern eine Weiche, ich setze meinen Kurs in genau diese Richtung. Ich öffne ein Türchen einen Spalt breit, durch das nun Leben strömen kann. Man könnte auch sagen, ich setze mir eine ganz bestimmte Brille auf, durch die ich nachfolgend die Welt betrachte und leicht verändert oder auch ganz neu wahrnehmen kann.
Die Zeit nach dem rituellen Bekräftigen der Neujahrs-Intentionen, wenn im Januar immer noch tiefe Dunkelheit herrscht, die Landschaft kahl und eisig bleibt, während ab und zu die Misteldrossel wehmütig singt und in den langen dunklen Nächten die Füchse heiser bellen, ist für mich eine besondere Zeit des Nichtwissens-und-damit-gut-Seins.
Im Bauch der Erde ist nun alles Vergangene verdaut und bereit ein fruchtbarer Mutterleib für das Neue zu sein. Ich versuche den ganzen Monat soweit es möglich ist termin-frei zu halten, eine gute Portion Urlaub zu machen und danach auch noch zwei, drei Wochen lang nur meinem eigenen Arbeitsflow zu folgen, damit genug leerer Raum da sein kann, in dem die zarten kreative Funken der schöpferischen Kraft und Inspiration sich einfinden können.
Nach und nach zeigen sich in meinem Innern mehr Bilder darüber, was die Zukunft von mir brauchen könnte und wie sich die gesetzten Intentionen, Werte und Qualitäten in diesem neuen Jahr verwirklichen könnten. Auch konkrete Bilder für Projekte zeigen sich, sowohl für die Arbeit, als auch persönlicher Art. Diese Bilder nähre ich durch meine Aufmerksamkeit, mein Lauschen, mein Hineinspüren – wie würde es sich anfühlen, wenn…?
Erst wenn Anfang Februar das Licht sich verändert, die Knospen der Bäume anschwellen, im Innern ihrer Stämme das Wasser wieder strömt und tief in der Erde die Vorfrühlingskraft sich zu regen beginnt, ist bei uns die Zeit gekommen, unseren immergrünen Strauch- oder Baum-Altar (Fokus-Plätzchen) zu schließen und aus dem Haus zu schaffen, meistens am zweiten Februar.
In kleine Stücke zerteile ich die meist schon ganz trockenen Zweige und Äste. Mit jedem Teilchen davon, das ich ins Feuer gebe, spreche ich die Wünsche und Widmungen für das Jahr, so konkret wie ich sie in meinen inneren Bildern sehen oder erahnen kann.
Prasselnd verbrennen sie und dies ist ein guter Zeitpunkt um auch für all die Einsichten und den Zauber der gesamten Jahreswechsel-Erneuerungszeit zu danken. Jetzt sind die dazugehörigen Rituale für mich abgeschlossen und gemeinsam mit meinen Liebsten feiern wir unser Frohlocken auf alles was kommt, meistens mit einem richtig leckeren Essen hinterher.
Das Drumherum: Einen lebendigen Rahmen gestalten
Tiefes Reflektieren ist anstrengend und fordernd für uns. Es fördert Emotionen an die Oberfläche, die einen Ausdruck finden wollen, und auch die mit ihnen verbundene Energie will umgesetzt werden.
Deshalb empfehle ich dir gerade in Zeiten intensiver Innenschau auch genau das Gegenteil bewusst mit einzuplanen: Oberflächliches, Lustiges, Albernes, Leichtherziges, Verspieltes und pure Unterhaltung.
Für mich sind schon seit vielen Monaten Komiker (beispielsweise dieser hier, auch vor allem dieser und manchmal auch noch der) fast lebenswichtig geworden – ihr frischer Blick auf die Widernisse unserer Zeit hat für mich zutiefst tröstliche Wirkung und lässt mich entweder weniger hilflos fühlen – oder zumindest nicht so allein mit meinem Frust.
Wenn du die Möglichkeit hast, life oder per Telefon mit Kindern in Kontakt zu sein, würde ich dir wärmstens empfehlen, sie zu nutzen. Gerade wenn es nicht deine eigenen Kinder sind, brauchen sie dich vielleicht besonders, weil sie sich in den Ferien vermutlich mit ihren eigenen Eltern und engsten Familienangehörigen ab und zu ziemlich langweilen! :-) Eine Liste kinderfreundlicher Witze, die du am Telefon oder life vor Ort mit ihnen teilst, könnte für euch alle einen Moment herrlicher Leichtigkeit ermöglichen.
Wichtig ist es in der Erneuerungszeit auch, ganz besonders intensiv für deine körperlichen und seelischen Bedürfnisse zu sorgen:
- viel, viel Wasser trinken
- lange schlafen
- an der frischen Luft bewegen, spazieren gehen
- Sonne tanken wenn sie sich zeigt
- kuscheln mit Haustieren, Menschen mit denen dies möglich ist, aber auch flauschigen Decken oder Kissen
- Berührung schenken und empfangen, auch einfach von dir selbst für dich selbst
- leckeres Essen für dich zuzubereiten (oder auch die Gastronomie vor Ort durch Bestellungen zu unterstützen)
- dir selbst Wärme spenden, um mehr Geborgenheit spürbar zu machen
- mit großen oder kleinen Taten für jemand anders etwas Liebes tun
- vor allem wenn du dich ängstlich oder angespannt fühlst und dein Nervensystem Unterstützung dabei braucht, sich selbst zu regulieren:
- es kann richtig gut tun, extra viel Zeit draußen zu verbringen und dabei Kontakt und Begegnungen mit den nicht-menschlichen Wesen um dich herum zu suchen.(Wenn dich das mehr interessiert, könnte vielleicht unsere Naturkultur-Weiterbildung was für dich sein?)
- Entspannung sanft fördernde, geführte Meditationen anhören wie diese wunderbaren (englischsprachigen) von Marianne Bentzen, aufgenommen während des Lockdowns im Frühjahr 2020, oder auch die Baum-Meditation von Katharina Voigt (Meditieren ist nicht für alle Menschen wohltuend, sondern kann im schlimmsten Fall starke negative Auswirkungen haben. Es ist hilfreich nur so viel zu meditieren, wie es sich für dich selbst auch wohlig anfühlt.)
- und was immer deinem Körperwohl noch gut tut!
Möchtest du mehr darüber lernen, wie du Menschen auf deren Lern- und Lebensweg unterstützen
und begleiten kannst? Dann könnte dir unser Online-Paket zum Thema Mentoring gefallen….
Möchtest du Erneuerungs-Räume für dein Team, deinen Freundeskreis oder andere Gruppen ermöglichen? Dann könnte dir vielleicht unser Leadership Training gefallen…